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Berlin: Furchtlos gegen Volkes Zorn

Im Rathaus Spandau stellt sich Finanzsenator Sarrazin den aufgebrachten Bürgern und kontert kühl alle Vorwürfe gegen seine Sparpolitik

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Vier Mannschaftswagen der Polizei und Taschenkontrollen am Eingang: Finanzsenator Thilo Sarrazin braucht Schutz vor dem Volkszorn, wenn er zum Thema spricht: „Berlin ist pleite – sparen wir die Stadt kaputt?“ Der Bürgersaal im Rathaus Spandau ist knüppelvoll am Montagabend. Zunächst werden Bilder von Schuldenbergen und Finanzlöchern an die Wand geworfen. Unruhe kommt auf, als Sarrazin den Effizienzvorsprung der bayerischen Schulen und den mangelhaften Output der Berliner Universitäten – „trotz Ausstattungsvorsprung“ – auf die Leinwand projiziert. „Jetzt ist mal Schluss mit dem Gelaber“, ruft da eine Studentin. „Sie mit Ihren Ausstattungsvorsprüngen!“

Aber der Senator ist gnadenlos: Die Universitäten böten viele Fächer doppelt und dreifach an. Das sei nicht nötig. In Berlin werde zu lange studiert. „Offenbar wird hier das Studium mehr als Lebensform denn als Durchgangsstadium in den Beruf begriffen.“ Ein Ächzen und Stöhnen geht durch den Saal. Das bunt gemischte Publikum, von der Spandauer SPD eingeladen, nimmt die Kampfansage auf. Plötzlich stürmen ein paar junge Frauen in rosa Kostümen nach vorn, mit Puscheln in den Händen und wilden Liedern auf den Lippen. Man versteht nur den Refrain: „…gegen den Sozialabbau“. Sarrazin sitzt wie ein Buddha auf dem Podium und schaut mit starren Augen an die Wand gegenüber. Nach fünf Minuten verschwinden die Cheerleader. „Sparen macht offenbar kreativ“, sagt der moderierende SPD-Abgeordnete Daniel Buchholz, der versucht, aus der verflixten Lage das Beste zu machen.

In der Mitte des Saals steht ein Mikrofon. Dahinter bildet sich nun eine lange Schlange. Zuerst stellen sich die Studenten und Jusos an. In der zweiten Fragerunde die Pflegeeltern behinderter Kinder, Lehrer und kitagebührengeschädigte Eltern. Zum Schluss noch ein Arzt, eine Sozialhilfeempfängerin, ein freundlicher Rentner und eine junge Mutter: „Herr Sarrazin, irgendwann muss doch Schluss sein mit dem Sparen. Wohin führt das; haben Sie nicht auch ein bisschen Angst?“ Sollte er welche haben, lässt sich der Senator das nicht anmerken an diesem Abend. Er ist voll damit beschäftigt, kräftig einzustecken und ordentlich auszuteilen. Ja, er habe zu den Studenten, die sein Büro besetzten, gesagt: „Raus, ihr Arschlöcher – und dazu stehe ich auch.“ Einige schreien hysterisch. „Selber Arschloch!“

Sarrazin wolle die Kitabetreuung gegen die Wand fahren. Seine Statistiken seien falsch. Die Politiker in Berlin verdienten zu viel Geld. Überall werde gespart, aber fürs Tempodrom seien zehn Millionen Euro da. Wer wissen will, was die Leute über die Sparpolitik denken, ist im Bürgersaal des Spandauer Rathauses gut aufgehoben. Mit Tränen in den Augen schildert eine Pflegemutter, dass ihr von 958 Euro monatlichem Erziehungsgeld für ein behindertes Kind nur noch 300 Euro bleiben werden. Dabei erspare sie doch dem Land Berlin 67 000 Euro pro Jahr für einen Heimplatz. Was die zornigen, lauten Studenten nicht schaffen, das gelingt den bedrückten Pflegeeltern. Der Saal steht wie ein Mann hinter ihnen. Der Beifall tost.

Auch Sarrazin ist berührt. „Ich bewundere, was Sie für die Kinder tun.“ Aber diese Verordnung, die den Pflegeeltern Geld wegnimmt, habe die Jugendverwaltung auf den Weg gebracht. Da mische er sich nicht ein. Weniger pingelig geht der Senator mit jener Studentin um, die in regelmäßigen Abständen dazwischenruft. „Wenn Sie so weiter brüllen, werden Sie nie ein Examen bestehen.“ Einige lachen, andere werden jetzt noch lauter. Ob Sarrazin sich wirklich als Sozialdemokrat verstehe, fragt ein älterer Genosse. „Sie reden am Volk vorbei.“ Er könne doch kein Geld drucken, wirbt der Finanzsenator mehrfach um Verständnis, um dann den Kita-Eltern rasch eins mitzugeben. Nur der obere Mittelstand habe den Aufstand gegen die neuen Gebühren geprobt: „Wer glaubt, dass Kinder Angelegenheit des Staates sind, sollte besser keine bekommen.“

Es sind zwei Welten im Saal, die nicht zueinander finden. Auf der einen Seite Sarrazin, der kühle Sanierer, mit seiner neuen Effizienzoffensive. Auf der anderen Seite die gebeutelten Bürger, die alle Bankgesellschafts-Vorstände im Gefängnis sehen wollen. Dann solle doch jemand Finanzsenator werden, „der ein bisschen lieber ist als ich“, sagt Sarrazin nach drei Stunden trotzig. „Gehen Sie nach Duisburg-Hamborn oder Essen-Nord, wenn Sie wissen wollen, was auf Berlin zukommt, wenn wir nichts tun.“ Auf einmal wollen alle nach Haus. Das zornige Volk verlässt den Saal. Geradezu fluchtartig.

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