zum Hauptinhalt
Designerin Ana Nuria Schmidt in ihrem Atelier

© Doris Spiekermann-Klaas

Berlin: Ganz spezielle Masche

„Rita in Palma“ gewinnt Preis für Integration Türkinnen häkeln Mode für das Designerlabel.

Der erste Versuch endete mit 30 verdutzten Türkinnen. Sie hatten sich zum Häkeln im Kulturzentrum an der Oranienstraße getroffen, als zwei Designerinnen mit ihren Entwürfen auftauchten. Ob die türkischen Frauen die Modelle nachhäkeln könnten, fragten diese. Die Türkinnen verstanden nicht.

Ana Nuria Schmidt, Deutsche mit spanischem Vornamen, war eine der beiden Designerinnen. Die 30-Jährige sitzt in ihrem Atelier in Neukölln und blättert in der aktuellen Ausgabe der Modezeitschrift „Vogue“. Auf Seite 54 bleibt sie stehen. Eine Kette mit bunten Stoffkugeln ist dort abgebildet, 49 Euro, Handarbeit. Schmidt und die Häkel-Frauen – sie haben doch noch zueinandergefunden. Zwischen der Pleite im Häkeltreff und dem Abdruck in der „Vogue“ liegen zwei Jahre.

Am gestrigen Mittwoch wurde das soziale Projekt von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) geehrt. Schmidt und ihr Team erhielten als Teilnehmer des Startsocial-Wettbewerbs einen Ehrenpreis und gewannen 5000 Euro. Die Integrationsarbeit wollen sie in einem neuen Verein fortsetzen. Deutschkurse von ehrenamtlichen Lehrern stehen im Programm von „Ritas Häkelclub“.

Alles begann, als Schmidt und ihre Kollegin Ann-Kathrin Carstensen nach einem Designstudium an der Hochschule für Technik und Wirtschaft beschlossen, ein eigenes Label zu gründen. Häkelmode sollte es sein, doch keine der Designerinnen konnte mit der Nadel umgehen. „Ich habe nicht die Geduld für Feinarbeit“, sagt Schmidt, „ich ärgere mich nur, wenn das hinterher doof aussieht.“

Die beiden erfuhren von der türkischen Technik „Igne oyasi“. Mit Nähnadeln knüpft man hierbei winzige Schlaufen, die aussehen wie Spitze. „Nur wenige Türkinnen können das noch“, sagt Schmidt. Sie lernten es als junge Mädchen von ihren Müttern und Großmüttern, fertigten die Handarbeiten für ihre Aussteuer oder als Dekoration für ihr Zuhause. Mit Flugblättern machten sich Schmidt und Carstensen auf die Suche, lernten eine junge Frau kennen, die sagte: „Meine Mutter kann das.“ Fatma kam – und brachte zwei Freundinnen mit. Inzwischen arbeitet ein fester Kern von fünf Häklerinnen für Schmidts Label „Rita in Palma“, mit 20 weiteren sind die Designerinnen im Gespräch.

Ihre Arbeiten hängen auf Kleiderständern in Schmidts Atelier: filigrane Häkelkragen, die aussehen wie Spinnweben, Seidenschals mit hauchfeiner Borte. „Die gleiche Verzierung haben Türkinnen an ihren Gebetstüchern“, sagt Schmidt. Jedes Modell trägt den Namen einer Häklerin: Arzu, Birgül, Zaide, Zuhal. Irgendwann gab es mehr Produkte als Frauen – deswegen mussten auch Kinder und Ehemänner als Namensgeber herhalten. Acht bis zehn Stunden Arbeit stecken in einem Häkelkragen, schätzt Schmidt. Für rund 180 Euro wird er am Ende verkauft, die Häklerin erhält einen Stückpreis – Höhe: Betriebsgeheimnis.

„Rita in Palma“ ist für die türkischen Frauen ein erster Schritt aus der Abhängigkeit vom Staat. Zu Beginn der Zusammenarbeit seien die Barrieren groß gewesen, sagt Schmidt. „Bei den ersten Treffen saßen wir einem Übersetzungsprogramm, um uns irgendwie unterhalten zu können.“

Inzwischen machen einige der Häklerinnen einen Deutschkursus – und die Designerinnen lernen Türkisch. Sie sind zu einem ebenbürtigen Team zusammengewachsen, entwerfen die Kollektionen gemeinsam. Das spricht sich herum: „Alle zwei Wochen klingeln türkische Frauen an der Tür, können sieben Wörter Deutsch und wollen mitmachen.“

Ende 2011 ist das Label in das Atelier an der Kienitzer Straße gezogen, vorher häkelten die Frauen in Heimarbeit. Nicht nur wegen eines Migrantenanteils von 40 Prozent ist das Label in Neukölln gut aufgehoben, findet Schmidt. „Hier brodelt es, man weiß nicht, wohin es geht. Wir fügen uns hier gut ein.“

Das Team erhielt bereits den „Premium Young Designers Award“ für Nachwuchstalente, durfte seine Accessoires während der vorigen Fashion Week im Hotel Adlon ausstellen. Das Preisgeld aus dem Kanzleramt kommt gerade richtig, denn noch lohnt sich die Produktion nicht. „Wir würden unsere Häklerinnen wahnsinnig gern fest anstellen“, sagt Schmidt. Im Moment jedoch könnten sie nicht einmal die Miete für das Atelier aufbringen. Ein Sponsor finanziert die Räume. Die Designerinnen leben von Hartz IV. Annika Sartor

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false