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Berlin: Gegen den Trend

Berlin ist die Hauptstadt des Musikgeschäfts in Deutschland. Trotz Branchenkrise kommen auch kleine Label über die Runden

Wer Musik produziert, braucht nicht viel: drei Tische, ein paar Regale und natürlich Visionen. Bei Louisville Records in Mitte wirft die Vision so viel Geld ab, dass das Label gut über die Runden kommt. Drei, vier Alben im Jahr produziert das kleine Familienunternehmen von Patrick Wagner und Yvonne Franken. Jeans Team, Navel oder Naked Lunch heißen die Bands, die seit 2005 auf Tonträgern aus dem Berliner Hofbüro in die weite Welt geschickt werden.

„Achtzig Prozent des Geschäfts machen wir mit CDs“, erzählt Wagner und nimmt der Mär vom boomenden Internetgeschäft gleich den Wind aus den Segeln. Downloads? „Höchstens zehn Prozent.“ Genauso groß sei der Anteil der klassischen Langspielplatten (LPs) am Verkauf. Ein Durchschnittswert, den auch viele andere Label erzielen.

Wagner hat den Weg in die Selbstständigkeit vor zwei Jahren nicht zum ersten Mal gewählt. Als Gründer des Labels Kitty-Yo sorgte er in den neunziger Jahren für Furore. Selten hat ein Berliner Musiklabel so viel Aufmerksamkeit bekommen – zuletzt im Dezember vergangenen Jahres, als sein Nachfolger Insolvenz anmeldete.

Nach einem Gastspiel Anfang 2000 bei Universal, einem Giganten der Branche, zog es ihn zurück zum überschaubaren Kleinlabel. „Im Konzern verbringt man zu viel Zeit in Meetings“, so die Erfahrung des 36-Jährigen. Man bekomme einfach nicht mehr mit, was in der Szene passiert. Das ist jetzt anders, dafür verdient er nicht mehr so viel. 30 000 bis 40 000 Euro Gewinn im Jahr sind für ihn jedoch okay. Wenn sich eine CD 5000-mal verkauft, rechne sich die Produktion. „Davon kann man leben“, ist er überzeugt und setzt hinzu: „In München wäre das natürlich unmöglich“. In Berlin lebt es sich billiger – gerade mal 200 Euro Büromiete im Monat zahlt das Label.

Sparen, möglichst wenig Personal und den richtigen Riecher für die Nische ist ein Erfolgsrezept, das die rund vierhundert Label in der Stadt am Leben hält. Das Kreuzberger Label Noisolution etwa hat Erfolg mit Bands wie Harmful und Mother Tongue, die früher bei Sony BMG unter Vertrag standen. 6000 Pressungen gingen vom letzten Harmful-Album über den Ladentisch. Das reicht für Labelinhaber Arne Gesemann, um weiterzumachen. Der 40-Jährige ist ein Veteran in der Branche. Schon mit 15 gründete der gebürtige Berliner sein erstes Musikunternehmen, später arbeitete er jahrelang beim Label Vielklang und gründete dort das Sublabel Noisolution. Rund 140 000 Euro Umsatz machte das Eineinhalb-Mann-Unternehmen im vergangenen Jahr.

Genauso wie alle anderen Produktionsfirmen leidet auch Gesemann unter dem Musikklau via Internet. „Musik ist immer mehr Ware, weniger Ideal“, erklärt er. Früher – etwa während der Punkrockbewegung – sei Musik noch mehr als nur eine Platte gewesen. „Heute ist Musik überall billig zu haben.“ Deshalb sei ihr Wert verfallen.

Im Schnitt zwei bis drei Jahre Arbeit stecken in einem Album, bevor es ein Label auf den Markt bringt. Für Marketing ist bei den kleineren Unternehmen selten Geld da, durch Rezensionen in Medien oder Newsletter in der Szene spricht sich ein neues Album jedoch in der Regel schnell herum. Dass sich Berliner Label wenig vernetzen, um sich gemeinsam zu vermarkten, versucht Tanja Mühlhans vom Berliner Wirtschaftssenat gerade zum wiederholten Male zu ändern. Gemeinsame Tourneen sowie eine gemeinsame Präsenz der Berliner Label, gefördert mit Mitteln der EU, ist eines ihrer Ziele. Doch die Branche ist nicht so recht willig. „Die Stimmung in der Indieszene ist nicht positiv“, drückt es die Referentin für Kulturwirtschaft diplomatisch aus.

„Wie soll ich mich noch um ein Netzwerk kümmern, wenn ich hier den ganzen Tag zu tun habe?“, bringt es Louisville-Manager Patrick Wagner auf den Punkt. Angesichts der angespannten Lage, die etliche – auch große – Label kurz vor dem Ruin stehen lässt, sieht er in der Branche eher Konkurrenzgebaren als Aussicht auf ein Miteinander. „Man muss besser sein als die anderen“, ist seine Erfahrung. Und vor allem hart arbeiten: „Manche denken, dass es einfach nur cool ist, ein Label zu machen. Doch da steckt viel mehr dahinter“, so Wagner. Wirtschaftliches Denken zum Beispiel – und ein Gespür für Bands, die die Welt noch gebraucht hat.

Beim Label Sonarkollektiv geht man ebenfalls lieber eigene Wege und setzt auf Digitalvertrieb, um die Compilations des DJ-Teams Jazzanova international bekannt zu machen. Fünfzig CDs werden im Jahr produziert. Mit insgesamt sieben festen Mitarbeitern und 60 000 Euro Umsatz im Monat gehört das Label schon zu den etwas größeren der Branche. Gerade hat Sonarkollektiv ein neues Album des Trios Thief veröffentlicht. Der jazzig angehauchte Beatles-Elektronica-Sound wird zurzeit nur digital auf der Internetplattform I-Tunes verkauft. Mitte März ist das Album dann auch in den Läden erhältlich. „Mit dem Vorverkauf im Internet schaffen wir es, Aufmerksamkeit zu generieren“, so Sprecherin Pauline Drewfs. Immerhin wurde das Album bei I-Tunes einige Tage auf der Startseite vorgestellt, was bei einem Forum, das weltweit Nutzer hat, besser ist als jede teure kommerzielle Werbung. Angesichts solcher Schachzüge blickt Drewfs optimistisch in die Zukunft. „Das letzte Jahr war ein gutes Jahr, 2007 wird noch besser“.

Christine Berger

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