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Berlin: Geh aus, mein Herz, und suche Streit

Paul Gerhardt, Kirchenlieddichter und Diakon an St. Nikolai, trotzte seinem Landesherren – und musste Berlin verlassen

„Ist Gott für mich, so trete gleich alles wider mich“ – das hatte er gedichtet, in der Gemeinde wurde es mit Inbrunst gesungen, aber musste der Gegner gleich der Landesherr persönlich sein? Die Arbeit als Prediger an St. Nikolai erschien Paul Gerhardt auch so schwer genug, aber „wenn ich nun noch einen nagenden Wurm meines Gewissens mit einbringen sollte, würde ich der elendeste Mensch auf Erden sein.“ Da mochte der Kurfürst drohen, wie er wollte – er, Gerhardt, würde es halten wie einst Martin Luther: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders.“

Der Frieden von 1648 hatte die Metzeleien des Dreißigjährigen Krieges beendet, der Glaubensstreit der Konfessionen tobte weiter, gerade in Brandenburg. Weniger die Katholiken waren es hier, an denen sich die lutherischen Prediger rieben, sondern die Reformierten, die sich auf Zwingli und Calvin beriefen. Da das Herrscherhaus 1613 zur reformierten Kirche gewechselt war, die Mehrheit der Bevölkerung aber lutherisch blieb, war es nur eine Frage der Zeit, wann der Konflikt offen ausbrechen würde.

Gerhardt hatte in Wittenberg studiert und war 1643 nach Berlin gekommen. Dort arbeitete er zunächst als Hauslehrer beim Kammergerichtsadvokaten Barthold, dessen Tochter er später heiratete. Nach einigen Jahren als Propst in Mittenwalde kehrte er 1657 zurück und wurde einer der Diakone von St. Nikolai. Es war die Zeit seiner größten dichterischen Kraft. Zehn Jahre zuvor hatte der Kantor der Gemeinde, Johann Crüger, in einer Liedersammlung die ersten 18 Dichtungen Gerhardts veröffentlicht. In den folgenden beiden Jahrzehnten sollten es nahezu 150 Liedtexte werden, 55 Eigendichtungen wie „Befiehl du deine Wege“, „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“ und „Nun ruhen alle Wälder“, dazu Nachdichtungen mittelalterlicher Hymnen wie „O Haupt voll Blut und Wunden“. Gerhardt wurde damit zu einem der bedeutendsten Kirchenlieddichter.

Der Amtsantritt an St. Nikolai traf zusammen mit einer sich zuspitzenden Konfrontation zwischen Lutheranern und Reformierten. „Wer nicht lutherisch ist, ist verflucht“, wetterte Gerhardts Amtsgenosse Heinzelmann von der Kanzel und wurde prompt entlassen. Die Gegenseite um Hofprediger Stosch zahlte mit gleicher Münze zurück: „Verflucht sei der, welcher ein anderes Evangelium verkündet, denn das wir gepredigt haben.“ Derlei Gezänk mochte Kurfürst Friedrich Wilhelm auf Dauer nicht hinnehmen. Es waren wohl – wie später bei seinen an Juden und Hugenotten gerichteten Einladungen nach Brandenburg – mehr pragmatische, aufs Staatswohl gerichtete denn religiöse Gründe, die ihn eingreifen ließen. Im Juni 1662 wurde erst den Lutheranern die Verketzerung der Reformierten untersagt, im September 1664 erging eine ähnliche Weisung an die Reformierten.

Die Entlassung Gerhardts am 13. Februar 1666 wurde durch eine von ihm verweigerte Unterschrift ausgelöst, mit der alle lutherischen Geistlichen sich zur Einhaltung des Edikts von 1662 verpflichten sollten. Sie hätte bedeutet, der so genannten Konkordienformel mit ihrer klaren Verurteilung des Calvinismus abzuschwören, auf die jeder Pfarramtskandidat vereidigt wurde. Doch selbst eine mündliche Versicherung wollte der glaubensstrenge Gerhardt nicht geben und musste gehen. Anfangs unterstützte ihn die Gemeinde, 1668 aber verließ er die Stadt und ließ sich in Lübben als Diakon nieder. Die dichterische Kraft seiner Berliner Jahre sollte er bis zum Tod am 27. Mai 1676 nicht wiederfinden.ac

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