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Reliefs aus drei Kriegen. Das Vermächtnis der Siegessäule.

© imago/Andreas Gora

Geschichte der Berliner Siegessäule: Gehört der umstrittene Engel zum europäischen Kulturerbe?

Die „Goldelse“ glänzt auf Berlins Partymeile – und spiegelt Untiefen europäischer Geschichte.

Von Andreas Austilat

Es gibt in Berlin kein zweites Denkmal mit einer derartig bewegten Vergangenheit. Ob das allein reicht, die Siegessäule in den Rang eines europäischen Kulturerbes zu erheben? Nun, so viel ist gewiss: Europäische Geschichte spiegelt sich in ihr allemal, mit all ihren Untiefen.

Kommt man dem Monument näher, wird schnell deutlich, wie lang der Weg war, den die Säule hinter sich hat: vom Kriegerdenkmal hin zu einem Fotomotiv auf Deutschlands größter Partymeile. Unübersehbar sind die Narben, die der Zweite Weltkrieg hinterlassen hat. In den martialischen Bronzereliefs fehlt hier der Kopf eines Soldaten und dort ein Arm. Der rote Granit des Sockels ist mit Einschusslöchern übersät. So war das nicht geplant bei der Einweihung 1873.

Eigentlich wünschte sich Preußens Wilhelm I. zuerst ein Monument zur Feier des Sieges über Dänemark. Doch während man noch über die Gestalt des Denkmals stritt, ob ohne oder mit Viktoria auf der Spitze, führte Preußen mit wechselnden Verbündeten zwei weitere Kriege, gegen Österreich und Frankreich.

Die Nazis rückten die „Goldelse“ auf den großen Stern

An deren Ende stand die Gründung des Deutschen Reiches – mit Preußen als dominierender Macht. Die Nation, sie ist eine europäische Erfindung des 19. Jahrhunderts. Sie zu beschwören wurden allerorten Denkmäler errichtet, als Identifikationsobjekt und Machtsymbol. Die Siegessäule feiert die Überlegenheit der jungen Nation, die sich gegen die Nachbarn durchsetzt. Deren Kanonen wurden zu vergoldeten Schmuckelementen: Je 20 erbeutete Rohre der Dänen, Österreicher und Franzosen säumen in drei Reihen den Säulenschaft. Auch die Reliefs mit Szenen aus den drei Kriegen wurden aus Kanonenbronze gegossen. Und über allem schwebt der Siegesengel, die feuervergoldete Viktoria, weithin sichtbar.

Darin steckt Aggressivität, die schon einem zeitgenössischen Beobachter wie Mark Twain, er lebte 1891/92 für ein halbes Jahr in Berlin, nicht gefiel. „Das ist einer der unangenehmsten Engel, den ich jemals getroffen habe“, befand er, über die „Goldelse“, der Name stammt aus dem damaligen Magazin „Die Gartenlaube“. Wobei er die Siegessäule nicht an ihrem heutigen Standort vorfand, sondern dort, wo sie einst errichtet wurde – zwischen der damaligen, beim Publikum beliebten Krolloper und dem Palais Raczynski. Twain sah allerdings eine Großbaustelle, das Palais hatte inzwischen dem neuen Reichstag weichen müssen.

Erst die Nationalsozialisten rückten die Siegessäule auf den großen Stern, den Hitlers Leibarchitekt Albert Speer zu diesem Zweck auf 200 Meter Durchmesser erweiterte. Die Siegessäule wurde um eine Trommel auf 68 Meter erhöht. Die vier Torhäuser, durch die man heute zur Siegessäule gelangt, sind Speers einzige gebaute Hinterlassenschaft in Berlin.

Die Franzosen wollten sie abreißen lassen

Es sollte ihre Via Triumphalis werden, doch auf dieser Straße führten die Nationalsozialisten den deutschen Nationalismus endgültig in die Katastrophe. Es verwundert nicht, dass die Franzosen, im Einklang mit Teilen des Berliner Magistrats, 1946 den Abriss der Säule verlangten. Überraschend ist eher, dass sie stehenblieb und auch die beschlagnahmten Reliefs 1987 von Frankreich zurückgegeben wurden, eine versöhnliche Geste.

Als Obama 2008 als Präsidentschaftskandidat vor der Siegessäule sprach, wurde dennoch darüber gestritten, ob das ein geeigneter Ort ist. Trotzdem kamen 200 000 Berliner und lieferten mit der Siegessäule über sich Bilder einer amerikanisch-deutschen Annäherung, die heute schon wieder Geschichte ist.

Die Siegessäule strahlt immer noch glänzend, nach der letzten Sanierung vor inzwischen sieben Jahren. Den Hauptanteil der Kosten trug übrigens die Europäische Union. Hätte sich 1873 niemand träumen lassen.

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