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Derzeit werden Unterschriften für die Enteignung großer Wohnungsfirmen gesammelt.

© Monika Skolimowska/dpa

Teure Volksbegehren in Berlin: Geld spielt keine Rolle

Das Enteignungs-Volksbegehren könnte gewaltige Kosten auslösen, die den Haushalt Berlins überfordern dürften. Verfassungsrechtlich ist das trotzdem in Ordnung.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Schlimmer hätte es für den Senat nicht kommen können. Mit dem Versuch, ein sündhaft teures Volksbegehren zur Verbesserung der Kita-Betreuung zu stoppen, war die Koalition von SPD und Linken vor zehn Jahren krachend gescheitert. Mit einem wegweisenden Urteil stellte das Berliner Verfassungsgericht am 6. Oktober 2009 fest, dass Volksbegehren auch dann zulässig sind, wenn sie die öffentlichen Finanzen stark belasten. Geschützt ist nur der laufende Etat, nicht aber künftige Landeshaushalte.

Auch das Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ kann nicht als verfassungswidrig zurückgewiesen werden, weil es Kosten in zweistelliger Milliardenhöhe verursachen könnte. Sollte die Volksabstimmung erfolgreich sein, muss der Senat mit den Folgen leben. Oder rechtzeitig mit der Initiative über eine Vergesellschaftung privater Wohnungsbestände verhandeln, die finanziell tragbar und für beide Seiten akzeptabel ist.

Es wäre nicht die erste Volksabstimmung, die durch einen Kompromiss abgewendet wird. Vor zehn Jahren einigte sich Rot-Rot mit den Organisatoren des Volksbegehrens auf ein Kita-Gesetz. 2016 verhandelten SPD und CDU mit der Initiative für die „Neuausrichtung der sozialen Wohnraumversorgung“ ein neues Mietengesetz aus und das Volksbegehren der Fahrrad-Aktivisten mündete 2018 in ein rot-rot-grünes Mobilitätsgesetz.

Jeweils ging es um Vorhaben, die dreistellige Millionensummen gekostet hätten, wenn der Volksentscheid erfolgreich gewesen wäre. So aber gelang es, für den Landeshaushalt verkraftbare Lösungen zu finden.

Beim Volksentscheid zum Flughafen Tegel gab es zwar eine deutliche Mehrheit für die Offenhaltung, doch rechtlich bindend war das für den Senat nicht, weil die Abstimmung nicht auf ein konkretes Gesetz zielte. Der Senat war außerdem nicht alleine zuständig und wurde durch den Volksentscheid lediglich dazu aufgefordert, sich für den Weiterbetrieb von Tegel einzusetzen.

Senat rechnet mit Kosten von bis zu 36 Milliarden Euro

Das Volksbegehren zur Enteignung privater Immobilienfirmen hat dagegen ein Landesgesetz zum Ziel. Kommt es zustande, rechnet der Senat mit Kosten von 28,8 bis 36 Milliarden Euro. Die Initiative hält diese Berechnung für überhöht und geht davon aus, dass die Entschädigung der enteigneten Unternehmen maximal 18,1 Milliarden Euro kosten wird. Verteilt auf einen Zeitraum von 45 Jahren. Aber auch das ist eine gewaltige Summe, die den öffentlichen Haushalt Berlins überfordern dürfte. Verfassungsrechtlich ist das trotzdem in Ordnung.

„Absehbare Auswirkungen auf künftige Haushaltsjahre können ein Volksbegehren nicht unzulässig machen“, urteilte das Landesverfassungsgericht vor zehn Jahren. Die Richter verwiesen darauf, dass dies die Konsequenz aus einer Reform der Landesverfassung sei, die 2006 in Kraft trat. Wenn das Parlament wegen eines erfolgreichen Volksentscheids seine finanzpolitischen Planungen und Prioritäten modifizieren müsse, sei dies nun mal „die notwendige Folge der Entscheidung für mehr Demokratie“.

„Auch die Komplexität haushaltsrechtlicher Entscheidungen gebietet nicht, die Urteilsfähigkeit der Bürger im Zusammenhang mit finanzwirksamen Gesetzen grundlegend in Zweifel zu ziehen.“ Führe eine solche Abstimmung zu Folgen, die nicht vertretbar erscheinen, könne das Landesparlament die Entscheidung korrigieren, dass sie nachhaltig finanzierbar ist. So oder so ist das ein schwieriger Weg.

De Schuld können sich die Parteien nicht gegenseitig zuschieben. Seit der Berliner Verfassungsreform 2006 ist bei Volksentscheiden nur noch der jeweils geltende Jahresetat geschützt. Dieser Änderung stimmten damals SPD und CDU, PDS (heute Linke), Grüne und FDP gemeinsam zu.

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