zum Hauptinhalt

Berlin: Gericht will Aussage erzwingen, obwohl das Opfer Todesangst hat Die Frau sitzt seit einem Monat in Beugehaft. Heute geht der Prozess weiter

Als sie nicht reden wollte, ordneten die Richter Beugehaft an. Das war vor einem Monat.

Als sie nicht reden wollte, ordneten die Richter Beugehaft an. Das war vor einem Monat. Ob die Zeit im Gefängnis bei Oksana T. zu einem Sinneswandel geführt hat, wird sich am heutigen Donnerstag in Saal 306 des Landgerichts zeigen, wo der Prozess gegen Patrick S. fortgesetzt wird. Der 31Jährige ist unter anderem der 52-fachen Vergewaltigung angeklagt – Opfer und Hauptbelastungszeugin ist Oksana T.

Die 35-Jährige stammt aus der Ukraine, früher hat sie als Prostituierte gearbeitet. In Bordellen, die dem Vater des Angeklagten gehören. Der Mann gilt als einflussreich im Rotlichtmilieu. Und als sie einmal nachts einen fremden Mann vor ihrer Zufluchtswohnung gesehen hat, als ihr Handy mit Geheimnummer klingelte und sich niemand meldete, als Unbekannte ihre Familie in der Ukraine anriefen und sich nach ihr erkundigten, da bekam Oksana T. Angst. Um sich und ihr kleines Baby. Deswegen verweigerte sie vor Gericht die Aussage. Nach Angaben ihrer Anwältin Silke Studzinsky ist die Angst von Oksana T. berechtigt. Zumal der Vater des Angeklagten vor Gericht keinen Hehl aus seinen Möglichkeiten gemacht hat. Und die Szene ist brutal. Tief sitzt auch die Erinnerung an Yana Z., die im Januar ermordet worden war.

Auch sie war Prostituierte, auch sie Ukrainerin. Sie wurde gezielt umgebracht. Der erste Versuch mit einer am Auto angebrachten Handgranate schlug damals fehl; kurz darauf wurde die 33-Jährige in Schöneberg mit mehreren Kopfschüssen getötet.

Die Sicherheitsbehörden sehen das Dilemma: Ohne die Aussagen der Frauen ist es fast unmöglich, die Hintermänner des organisierten Menschenhandels vor Gericht zu bringen und zu verurteilen. Kooperieren die Frauen aber, sind sie selbst gefährdet.

Das Gericht gestand Oksana T. zwar Grund zur Beunruhigung zu, stellte aber fest: „Die Kammer hat mehrfach Fälle des Menschenhandels und der Vergewaltigung auch im Rotlichtmilieu verhandelt. Zu Körperschäden von so genannten Opferzeuginnen ist es nicht gekommen.“ Anwältin Studzinsky legte vergeblich Beschwerde gegen diese Maßnahme ein. Für sie bleibt das ein unverständliches Vorgehen. Zeuginnen in Vergewaltigungsprozessen, die dann noch ehemalige Prostituierte und aus dem Ausland sind, könnten „generell“ als gefährdet gelten, sagte sie. Aber: „Es gibt keinen effektiven Schutz.“ Überdies fürchte Oksana T., sich in einer ausländerrechtlichen Sache selbst zu belasten.

Es gibt zwar Zeugenschutzprogramme, doch die kommen für die Opferzeuginnen nur selten in Frage. Warum, weiß Babette Rohner von der Frauenberatungsorganisation Ban Ying: Die Opferzeuginnen wüssten in der Regel zu wenig, um Bossen von Menschenhandels- und Zuhälterbanden wirklich gefährlich zu werden. Für Babette Rohner ist der Fall von Oksana T. „ein Unding“. Gerade bei Menschenhandel und Zuhälterei sei man zur Verurteilung der Täter auf die Aussagen der Prostituierten angewiesen. Wenn sich bei denen herumspräche, dass man vom Gerichtssaal weg in Beugehaft kommen könne, würde bald gar keine mehr aussagen. ari

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false