zum Hauptinhalt
301200_0_fc8a0904.jpg

© Uwe Steinert

Gewaltprävention: Die Angst soll raus aus der U-Bahn

Anti-Gewalt-Kurse vermitteln richtiges Verhalten in Gefahrensituationen. Der Vorfall von München schürt Unsicherheit bei den Teilnehmern des Seminars.

Berlin - Kriminalkommissar Timo Hartmann will provozieren. Er rempelt den Mann in der Bahn absichtlich an, setzt sich ihm gegenüber und starrt ihn regungslos an. Erst als er beginnt, den Mitreisenden zu beschimpfen, reagiert der Mann endlich. Doch mit einer Handbewegung hindert Hartmann ihn am Gehen. Die Situation spitzt sich zu. Plötzlich zeigt der Bedrohte auf einen anderen Reisenden und sagt: „Sie im blauen Hemd, bitte helfen Sie mir, ich werde bedrängt.“ Der Mann im blauen Hemd stellt sich zur Verstärkung neben ihn und als Hartmann weiter den Halbstarken mimt, verlassen die beiden das Abteil.

„Nicht schlecht gelöst“, sagt der LKA-Beamte Hartmann, der am Dienstag vor 26 Teilnehmern das Seminar zum Umgang mit Aggression und Gewalt in Charlottenburg leitet. „Aber“, sagt er, „sie hätten aus der brenzligen Situation früher aussteigen müssen.“ Bereits beim Anrempeln hätte der Teilnehmer dem Täter im Rollenspiel ein klares „Stopp“ signalisieren müssen. „Hören Sie auf ihr Bauchgefühl, wenn ihnen die Situation bedrohlich erscheint“, rät der Kursleiter. Der Mann hätte anfangen können, laut zu telefonieren, statt das Verhalten des Täters still hinzunehmen. „Halten Sie Abstand, suchen Sie die Öffentlichkeit“, rät Hartmann, „und reden Sie den Täter immer mit ,Sie‘ an, damit Außenstehende erkennen können, dass Ihnen die Person unbekannt ist“. Seine Handlungsempfehlungen gehören zum Konzept der Konfliktvermeidung, das die Berliner Polizei in den Kursen vermittelt. Gut agiert habe der Teilnehmer, als er den Mann im blauen Hemd zu Hilfe geholt habe. Wichtig sei dabei, die Person direkt anzusprechen und ihr eine konkrete Aufgabe zuzuteilen. Andere Fahrgäste würden sich sonst darauf verlassen, dass die anderen schon helfend eingreifen. Verantwortungsdiffusion heißt dieses Phänomen. Hartmann nennt es „Dummheit der Masse“.

Seit mehr als einem Jahr leitet Hartmann die kostenfreien Kurse zur Gewaltprävention, die etwa einmal im Monat allen Interessierten offenstehen. Teilnehmerin Kristine Belewsky will sich in der Stadt sicher fühlen. Sie sieht das Seminar als einen Erste-Hilfe-Kurs für Gefahrensituationen. Auch der Vorfall in München, bei dem kürzlich ein 50-jähriger Mann ums Leben kam, als er Kinder in der S-Bahn vor jugendlichen Schlägern schützen wollte, ist für viele ein Grund, das Angebot der Polizei wahrzunehmen. Drei der Teilnehmer seien selbst schon in Gewaltsituationen verwickelt gewesen. „Die meisten von ihnen werden nie zum Opfer von Gewalt“, erklärt Hartmann, der die Statistiken kennt. Dennoch sei es wichtig, sich gedanklich auf eine solche Situation vorzubereiten, denn „wenn man erst Nase an Nase steht“, sei es für klare Gedanken zu spät. „Wir bilden hier keine Superhelden aus“, sagt Hartmann, der davon abrät, sich den Tätern in den Weg zu stellen und so selbst in Gefahr zu geraten. Denn helfen könne nur, wer selber unversehrt sei. Was in München falsch gelaufen sei, könne er nicht beurteilen. Der Mann aus dem Rollenspiel weiß aber jetzt, was er im Ernstfall tun würde: aufstehen und gehen. Die anderen Teilnehmer, die Zeugen der Szene wurden, würden in einer ähnlichen Situation den Zugfahrer alarmieren und dem Mann ihre Hilfe anbieten. Denn einfach wegsehen, so Hartmann, sei die schlechteste Lösung. Susanne Thams

Infos zu den Präventionskursen unter www.berlin.de/polizei/

Susanne Thams

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false