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Berlin: "Gladow-Casting": Zeig, was für ein Schurke du bist

Die Geiselnahme ist beendet, wenn ein unauffälliger Mann in Zivil sagt: "Gut jetzt." Die schweren Jungs legen ihre Pistolen beiseite, gehen dorthin, wo der Sicherheitsdienst auf sie wartet.

Die Geiselnahme ist beendet, wenn ein unauffälliger Mann in Zivil sagt: "Gut jetzt." Die schweren Jungs legen ihre Pistolen beiseite, gehen dorthin, wo der Sicherheitsdienst auf sie wartet. Sie, die Schauspieler des Gefängnisensembles "Aufbruch", können nicht mehr wirklich böse sein, das Böse spielen sie nur. Im kahlen Kulturraum der Justizvollzugsanstalt Tegel: Die Gefängnisleitung hat es erlaubt.

Freitagabend, Premiere des "Gladow-Casting". Untertitel: "Das Gefängnis als Schule des Verbrechens". Die Rosen für die Darsteller, welche die Organisatoren von draußen mitbrachten, werden von den Schließern durchgesehen. Die Premierengäste lassen ihre Ausweise bei den uniformierten Wächtern am eisernen Rolltor. Vor einer Woche haben sich die Besucher über das Hebbel-Theater zur der Vorstellung angemeldet.

Die "Schule des Verbrechens" ist eine von Ex-Kriminellen gespielte Anleitung zum Kriminell-Sein. Nach dem historischen Stück "Vom Wert ehrlicher Arbeit" im Theater am Halleschen Ufer geht es hier nun, im zweiten Teil, um das Praktische. Das Gefangenenensemble spielt mit faszinierender Ernsthaftigkeit den Traum vom perfekten Verbrechen: Was ist beim Bankraub zu beachten, was sind die Tugenden eines guten Unterweltlers?

Werner Gladow ist die Leitfigur: Der 19-jährige Kerl mit dem sympathischen Lächeln. In allen Zeitungen stand er, der mit seiner 50-köpfigen Bande im Nachkriegsberlin mordete und raubte. 1950 krachte dann das Fallbeil zweimal in seinen Hals und blieb in der Mitte stecken, er soll geschrien haben, erst beim dritten Mal rollte der Kopf. Ein Mythos blieb: Gladow inspirierte Heiner Müller, Klaus Schlesinger und Erich Loest. Das Stück des Gefangenentheaters nimmt den Mythos auf. Gladow lebt in uns, sagt einer, Gladow ist zu früh gestorben, dreißig Männerkehlen skandieren kraftvoll seinen Namen. Monumental: Ein starkes Stück ist es schon, was da noch bis zum 15. Mai gezeigt wird.

Das perfekte Verbrechen sei schwerer als ein Monat Arbeit, sagt Darsteller Slimane Abdiche, er zitiert Gladow. Im Anzug - Gladow trug auch einen - gibt er Anweisungen. Ein Pfeifen durch die Zahnlücke: Koffer auf! Er verteilt die Beute eines Raubs: Im Gefängnis Brot statt Geld. Abdiche ist wegen Totschlags hier, das kann ruhig veröffentlicht werden, sagt er später, macht ja jetzt nichts mehr. Seine siebenjährige Strafe ist bald abgesessen. "In jedem steckt ein Gladow", sagt er, zeigt ins Publikum. Und zitiert Marx: Ohne Verbrecher habe die Justiz nichts zu tun, Polizisten und Henker hätten keine Arbeit, die Journalisten nichts zu schreiben, und niemand würde Versicherungspolicen mehr kaufen.

Was taugt das Geld der Welt?, fragt eine Gewinn- und Verlustrechnung des "Gladow-Casting", die den Bankraub mit dem Bäckerberuf vergleicht. Ergebnis: Nach einer Risikoabschätzung ist beides genauso einträglich. Zusätzlicher Hinweis: Aber kein Geld kann die Zeit im Gefängis ungeschehen machen. Häftling Boris L. singt das Lied von der Freiheit, mit rauchiger Stimme und Gangster-Sonnenbrille. In einem Käfig sollte sie ausgestellt werden, doch die Zuschauer sehen nichts darin: Eingesperrt ist sie augenblicklich fort.

Nebenan liegt der Flughafen, eine leere Maschine mit vollen Tanks ist die Forderung bei der Geiselnahme, der gespielten mit dem so unspektakulären Ende: Das perfekte Verbrechen ist nur ein Traum.

Christian Domnitz

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