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Berlin: Gleichberechtigt parlieren

Brigitte Grunert über die Sprache der Politiker

Nichts gegen Wortschöpfungen. Wir sprechen ja eine lebendige Sprache, wir tragen dem Zeitgeist Rechnung. Nur haben manche kein Glück mit neuen Moden. Nehmen wir die Gleichstellung von Mann und Frau. Unsere Politiker scheuen keine Mühe, sich geschlechtsspezifisch auszudrücken. Sie achten peinlich genau darauf, dass zum Bürger die Bürgerin gehört, zum Beamten die Beamtin und so fort. Sie reden sich den Mund fusselig. Das kostet viel Zeit und bedrucktes Papier.

Doch kaum haben die letzten Konservativen das geschlechtsspezifische Muss verinnerlicht, laufen ihnen die Fortschrittlerinnen und Fortschrittler davon. Die wollen auf einmal alles vereinfachen, so gut es geht. Das haben sie zwar vor vielen Jahren schon einmal versucht, doch es klappte bekanntlich nicht mit dem großen I wie RednerInnen. Man verstand immer bloß Rednerinnen. Jetzt haben sie sich etwas Neues ausgedacht. Wir lesen in parlamentarischen Anträgen und Anfragen lauter vom Partizip I abgeleitete Substantive. Sie sagen nicht mehr Sozialhilfeempfänger und Sozialhilfeempfängerinnen, sondern kurz: Sozialhilfeempfangende. „Was plant der Senat zur Regelung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung bei Alg IIEmpfangenden?“, fragte die Abgeordnete Stefanie Schulze (PDS) den Senat. Frau Dr. Schulzes Aneinanderreihung von Genitiven und die fragwürdige Präposition „bei“ (statt für) klingen zwar schauderhaft, aber das nur nebenbei. Auf Empfangende (hier von Arbeitslosengeld II) passen eben beide Artikel, der weibliche wie der männliche.

Die Grünen, nicht faul, haben sogar einen Antrag auf Neufassung des Studentenwerksgesetzes eingebracht. Im Studentenwerksgesetz steckt der Student, die Studentin wird ausgegrenzt. So geht das nicht. Folglich wünschen die Grünen, dass dieses Gesetz in „Studierendenwerksgesetz“ umbenannt wird. Da fällt einem der abgeschaffte Lehrling ein, für den es kein weibliches Pendant gab. Wir kennen schon lange nur noch Auszubildende, kurz und locker Azubis.

Wer weiß, was den Sprachakrobaten noch alles einfällt. Sie könnten zum Beispiel die Radfahrer und Radfahrerinnen zu Radfahrenden erklären, den Senatssprecher und gegebenenfalls die Senatssprecherin zum/zur Senatssprechenden. Doch was machen wir mit den Begriffen, die sich nicht aus verbalen Formen ableiten lassen wie dem Regierenden Bürgermeister? Ach, wer sucht, der findet. Man könnte ihm, dem männlichen, den Titel kürzen, einfach der/die Regierende in die Verfassung schreiben. Und wie wäre es statt der umständlichen Parlamentarier und Parlamentarierinnen mit Parlierenden, also Plaudernden?

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