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Berlin: Golden Globe nach Kreuzberg

Berliner Produzenten holten überraschend einen der wichtigsten Filmpreise Ihr „Paradise Now“ ist jetzt sogar für den Oscar nominiert

Angestoßen haben sie mit Kamillentee. Gerhard Meixner lag mit Blinddarmentzündung im Krankenhaus und hatte seinen Kompagnon Roman Paul am Telefon. Bei beiden lief der Fernseher, Live-Übertragung der Filmpreisverleihung des Golden Globe aus Los Angeles. Als Sex- and-the-City-Star Sarah Jessica Parker die Preisträger für den besten fremdsprachigen Film auf die Bühne rief, herrschte in Berlin ungläubige Stille in der Leitung: Der Golden Globe geht an das Team um Regisseur Hany Abu-Assad für den Film „Paradise Now“ – und damit auch an das deutsche Produzententeam Meixner/Paul mit ihrer Produktionsfirma „Razor Film“ am Oranienplatz in Kreuzberg. Wie jetzt bekannt wurde, ist das Produzenten-Duo mit dem Film über zwei palästinensische Selbstmordattentäter auch für den Oscar nominiert, der am 5. März in Los Angeles vergeben wird.

Diesmal haben die beiden von „Razor Films“ mit ihrem Mini-Büro am Legiendamm 40 aber tatsächlich Flugtickets gebucht. „Wir hatten nicht damit gerechnet, dass wir den Golden Globe bekommen und können es auch immer noch nicht richtig fassen“, sagt der 37-jährige Roman Paul, der von Frankfurt (Main) nach Berlin kam und in Prenzlauer Berg zu Hause ist. Realisiert hat auch der 40-jährige gebürtige Münchner und Wahl-Kreuzberger Gerhard Meixner erst, dass sie einen der bedeutendsten Filmpreise ihr eigen nennen können, „als Glückwunsch-SMS und Anrufe kamen“. Wie schon bei der vorigen Berlinale, als „Paradise Now“ mit drei Preisen ausgezeichnet wurde und später den Europäischen Filmpreis fürs beste Drehbuch erhielt – „die Preise gelten allen, die am Entstehen beteiligt waren“, wie die beiden betonen. Der Film wurde in über 50 Länder verkauft, lief auch in Israel, in Berlin ist er heute nochmal im Sputnik Südstern zu sehen; die Bundeszentrale für politische Bildung bietet ein Filmheft an.

Wie die Berliner zu dem Projekt kamen? Sie arbeiteten zuvor bei Senator-Film, hatten sich im Herbst 2002 selbständig gemacht. „Ich kannte den palästinensischen Regisseur Hany Abu-Assad über die israelischen Produzenten ,Lama Films‘ und dachte immer, wir müssen mal was zusammen machen.“ Wenig später lag die Drehbuch-Rohfassung beim Ladenbüro von „Razor Film“ auf der per Leiter zu erklimmenden Hochebene auf dem Tisch. Meixner und Paul begannen, an der Version zu feilen, stellten das Team zusammen. So war die palästinensisch-holländisch-französisch-deutsche Koproduktion unter Dach und Fach, besiegelt in einem Restaurant in der Alten Schönhauser Straße. „Wir wollten europäische Fördermittel, damit wir den Film unabhängig machen können“, sagt Meixner. Gedreht wurde die sowohl israel- als auch palästinenserkritische Geschichte über die Selbstmordattentäter Said und Khaled auf 35-Millimeter-Cinemascope. „Und nicht digital, weil wir dichter dran sein wollten an den Menschen und nicht distanzierte Fernsehbilder wiedergeben“, sagt Meixner. Natürlich sind die beiden mit den 70 Kollegen aus dem Filmteam, darunter vielen Berlinern, mit zum Dreh nach Nablus gefahren. Als der Aufnahmeleiter gekidnappt wurde, eine israelische Rakete einschlug, zog das Team nach Nazareth um. „Ich werde nie vergessen, als wir diese stille Abendessen-Szene nachts in einem Flüchtlingslager abbrechen mussten, weil Hunderte Bewaffnete durch die Gassen rannten“, sagt Paul.

Ob „Paradise Now“ nun einen Oscar bekommt oder nicht – die Berliner werden sicher auch das Oscar-Abendessen in Los Angeles, an einem Tisch etwa mit George Clooney, nie vergessen. Derzeit sind sie auf der Berlinale, auch wegen der Premiere ihres neuen Streifens über einen Vertreter, „Der Lebensversicherer“ vom Berliner Regisseur Bülent Akinci, am Dienstag. Der nächste Film soll eine Klinik-Komödie werden; Cosma Shiva Hagen gehört schon zum Team. Da gibt es aber sicher Sekt statt Kamillentee.

Annette Kögel

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