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Berlin: Grüne Woche: Einträchtige Trachtenträger

Die Reisebusse vor dem Eingang zur Party kommen aus Stadtsteinach, Mohrkirch, Dagebüll und Hessisch Oldendorf. Innendrin sind Steffen, Flicker und Jörch: Sie kommen aus Schwarzenbach.

Die Reisebusse vor dem Eingang zur Party kommen aus Stadtsteinach, Mohrkirch, Dagebüll und Hessisch Oldendorf. Innendrin sind Steffen, Flicker und Jörch: Sie kommen aus Schwarzenbach. Das liegt an der Saale, in Oberfranken. Sie sprechen einen interessanten Dialekt und tragen Tracht: Weißes, gestepptes Hemd, Strickweste, Lederhose. So eine Lederhose koste 600 Mark, sagt Jörch, und auf ein mitleidiges Heben der Augenbrauen reagiert er mit einem "na hör mal, das ist eine richtig gute Hose!" So alles zusammen koste eine Tracht etwa 1500 Mark. Nicht schlecht für einen Partyabend.

Zum Thema Online Spezial: Grüne Woche 2002 Die "Arena" in Treptow, am Samstagabend: Der "Bund der deutschen Landjugend", die 100 000 Mitglieder zählende Jugendorganisation des Bauernverbands, hat zur bundesweiten Party eingeladen. "Vielleicht zwanzig Prozent hier sind wirklich in der Landwirtschaft tätig", sagt Volker Baumann, stellvertretender Vorsitzender der Landjugend. Denn Mitglied werden könne jeder, der auf dem Land lebt und dessen Eltern mal irgendwas mit Landwirtschaft zu tun gehabt hätten. Etwa 3000 junge Leute sind mit den Bussen aus Mohrkirch und Dagebüll zur "Grünen Woche" nach Berlin gekommen, knapp 200 Euro hat sie der viertägige Ausflug gekostet. Da muss man gut feiern, dass sich das auch lohnt.

Es ist wie Dorfdisco, nur mitten in der Stadt. Die Band "Tin Lizzy" aus Schleswig-Holstein spielt "Uptown Girl". Die Leute sind lustiger und lauter als partyverwöhnte Städter. Sie tanzen und springen, vor der Bühne und auf den Tischen. Sie werfen zur Musik ihre Arme hoch und singen die Refrains mit. Und wenn man mal einem zu verstehen gibt, dass man sich jetzt wirklich genug mit ihm unterhalten hat, redet mancher trotzdem weiter. Was aber witzig ist.

Matze ist ein ex-Tierwirt aus Brunn bei Neuruppin. Er hat gerade umgeschult: Vom Bauer zum Trockenbauer, also Installateur. Denn den Ost-Beruf "Tierwirt" gibt es nicht mehr, und Erfolg in der Branche würde auch seltener. Ziehen nicht die meisten jungen Leute vom Land weg, in die Städte? "Ja, wenn sie jung sind, dann gehen sie weg, aber irgendwann kommen sie alle wieder!" Ihm sei das nichts, er versuche, gleich auf dem Land zu bleiben.

Annelen und Stefanie lernen an der einer Fachschule in Hannover, haben aber mit Städten auch nichts am Hut. Ihr Fach: "Aufbaustudiengang ländliche Hauswirtschaft". "Das ist so eine Art Meister in Hauswirtschaft", sagt Annelen. Das könne man nach drei Jahren "Ländliche Hauswirtschaft" machen, und am Ende sei man in der Lage, einen Hof zu führen, oder auch eine Jugendherberge oder die Küche eines Altenheims. Doch die Ausbildung ist modern: Sie bekommen Unterricht in "Marketing", "Landtourismus" und "Absatz". Kühe melken hätten sie nämlich schon vorher gekonnt.

Auf der "Grünen Woche" betreuen sie den Messekindergarten. Sie sind das Gegenbeispiel zur Behauptung, es gäbe keine Frauen mehr, die sich für Landwirtschaft interessierten: Beide wollen in einem Jahr den Hof ihrer Eltern übernehmen. Für Annelen heißt das: Herrin sein über 39 000 Masthähnchen, Stefanie wird einige Hektar Feld beackern. Ein Wunsch, der nicht ohne Folgen für die Partnersuche bleibt: "Ich würde mich nie in einen Mann verlieben, der den Hof meiner Eltern nicht haben will", sagt Annelen.

Einige Tische weiter sitzt Michael aus dem Emsland mit seinen Freunden. Michael ist eigentlich Großhandelskaufmann, er geht jeden Morgen zur Arbeit. Aber nebenher hat er auch noch einen Stall mit vierhundert Schweinen. "Das ist doch nicht viel!", tadelt er den skeptischen Nachfrager. "Füttern und Heizen macht der Computer, ich gehe da nur zweimal am Tag durch und gucke, ob alles okay ist." Ausmisten ist nicht: "Lattenrost!" Aber zweimal im Jahr - "naja" - müsse er die Gülle auf dem Feld seines Onkels versprühen. Er guckt sich um in der gefüllten "Arena"-Halle, mit Kennerblick: "Hier würden etwa 3000 Schweine reingehen." Stört es ihn nicht, dass die Schachfiguren mit dem geringsten Wert ausgerechnet Bauern heißen? Lachen ihn seine Freunde nicht aus, weil er sich als Schweinezüchter versucht? "Das ist mir egal, meine Schweine bringen ordentlich Geld!"

CDZ

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