zum Hauptinhalt

Berlin: Gummi-Euros mit Brennnesselgeschmack

Die Bundesregierung präsentiert sich den Bürgern bei spätsommerlichem Wetter im besten Licht und mit vielen Geschenken. Im Kanzleramt drängeln sich Besucher aus aller Welt beim Tag der Offenen Tür – und wundern sich über die Ausstattung.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Der Himmel so blau! Und zwischendrin grasen ein paar Wolkenschäfchen. Es ist Kaiserwetter an diesem Sonnabend, die Menschen tragen ihr schönstes Lächeln spazieren. Kanzlerinnen-Wetter ist auch, Angela Merkel hat die „lieben Mitbürgerinnen und Mitbürger“ zum Tag der Offenen Tür eingeladen. Schon um halb zehn schlängelten sich die Staatsbesucher aus aller Herren und Frauen Länder, einschließlich Schwaben und Sachsen, eingepfercht zwischen roten Seilen, dem Eingang zum Kanzleramt entgegen.

Die Bundeskanzlerin wird erst am heutigen Sonntag, ab 14 Uhr, beim Rundgang durch ihren weißgrauen Betonpalast dem Staatsvolk persönlich zur Verfügung stehen. Den Besuchern am Sonnabend war das egal. „Das ist doch gigantisch, gell“, schwärmt ein älterer Herr auf dem Weg zum sommergrünen Kanzlergarten. Eine kesse Nonne schwingt sich flugs auf ein Motorrad der Polizeieskorte, das samt schwarzer Staatskarosse mit der Nummer 0-2 für staatsbürgerliche Fotoshootings bereitgestellt wurde. Ein stolzer Polizeibeamter erklärt die Technik des Krads: „Das ist die abgespeckte Version, die wir im Dienst fahren, zu Hause hab’ ich aber die Tausender Kubik.“

Drinnen, nach dem Erklimmen der Freitreppe, die Kanzlergalerie. „Wer ist das noch mal?“, fragt Mama die Tochter. „Ach ja, der Schröder!“ Für alles ist gesorgt. „W-i-c-k-e-l-r-a-u-m“, buchstabiert ein junger Mann aus Spanien seiner Freundin vor und wundert sich über die Ausstattung deutscher Regierungssitze. Überall interessierte Menschen, die mit den zahlreichen Mitarbeitern fröhlich plaudern. Währenddessen bildet sich eine kleine Schlange vor dem preußischblauen Kanzlerin-Hubschrauber, ein „Super Puma“ des Bundesgrenzschutzes. „Wenn’s schnell gehen muss und kein Flughafen da ist, genau das richtige Gerät“, fachsimpeln verkehrstechnisch interessierte Besucher. Draußen, nach vollendetem Rundgang, rütteln zwei Mädels an den Gittern des Kanzleramts, und die Eltern lassen sie gewähren.

Ein paar Ecken weiter, im Bundesfinanzministerium, geht es gar nicht spartanisch zu. Der Zoll hat sich stolz breitgemacht, präsentiert seine martialische Kampfmontur und bietet „Biathlon Laserschießen“ an, was eifrig genutzt wird, auch dauergewellte Damen greifen zum Gewehr. Nicht zu vergessen die „Combo Zolla“ im gemütlich hergerichteten Innenhof. Man sitzt auf Bierbänken, nippt am kühlen Radeberger und hört, was als nächstes launig angekündigt wird: „blanker, nackter Blues“. Im Foyer verschenkt Deutschlands oberste Sparbehörde Kugelschreiber, Buttons und Briefmarken. Der große Publikumsrenner ist aber das Falschgeld, das in Vitrinen präsentiert wird. Sogar ein 40-Euro-Schein ist dabei. Spaß muss sein. Nur an der Infowand über das Doppelbesteuerungsabkommen gehen alle schnell vorbei.

Die Bundesbank verteilt bunte Gummi-Euros mit zehn Prozent Fruchtanteil. Johannisbeere, auch Karotte, Brennnessel und Spinat. Das hört sich nach Harry Potter an, schmeckt exotisch und findet guten Absatz. Im sonnigen Hof werden Kinder abgefangen. „Kommt, ich zeig euch das Europapuzzle“, lockt ein Mitarbeiter. „Hier ist Spanien, das könnt ihr jetzt bunt anmalen.“ Ist das die Vorbereitung für einen neuen Rettungsfonds?

Alle 14 Ministerien zeigen sich an diesem Wochenende, vier Wochen vor der Bundestagswahl, von ihrer schnuckeligen Seite. Minister und Staatssekretäre sind live dabei, während Regierungssprecher Steffen Seibert mit den Bürgern fleißig twittert. „Follow me!“ Rundgänge und Podiumsgespräche sind an beiden Tagen im Angebot. Die griechische Sängerin Vicky Leandros („Theo, wir fahr’n nach Lodz“) talkt am Sonnabend mit Wirtschaftsminister Philipp Rösler. Das Gesundheitsministerium hat eine Teddy-Klinik für Kuscheltiere eingerichtet, und Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer bietet Unfallsimulatoren an. Das Ministerium für Arbeit und Soziales wiederum übt sich in globaler Willkommenskultur. „Yes, we are open“, steht am Eingang. So viel Englisch sei erlaubt.

Der gastliche Innenhof versöhnt aber auch die Einheimischen, denn ein Leierkastenmann kurbelt hingebungsvoll: „Es gibt nur ein Berlin!“ Vor der Tür des Ministeriums schwingen Kinder lachend am Bungee-Seil. Sie bekommen nicht mit – und haben auch nicht viel verpasst – wie drinnen der parlamentarische Staatssekretär Rald Brauksiepe die eisschleckenden Gäste begrüßt, begleitet von einem Gebärdendolmetscher. „Bundesministerin Ursula von der Leyen lässt Sie herzlich grüßen.“ Der Rest geht unter im familiären Geplauder.

Noch schnell einen Abstecher zum Entwicklungsministerium, das zum Tag der Offenen Tür exotische Häppchen angekündigt hat. Die Zelte sind auch schon aufgebaut, aber die Tore leider geschlossen. Bundesminister Dirk Niebel empfängt erst am Sonntag. Dann gibt es endlich „Köstlichkeiten aus aller Welt“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false