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© Thilo Rückeis

Kunst im öffentlichen Raum: Gut gemeint - aber gut gemacht?

Egal, ob Denkmal oder Skulptur: Jedes neue Kunstwerk tritt in Berlin eine Geschmacksdiskussion los. Jetzt fürchtet ein Abgeordneter um das Stadtbild. Der Senat will aber keine festen Vorschriften.

Wolfgang Weiffen gehört zu den vielen hundert Passanten, die gestern im Verlauf des Tages vor der Skulptur am Bahnhof Friedrichstraße stehen bleiben. „Sehr eindrucksvoll, es berührt mich, liegt mir am Herzen“, sagt der Geschichtslehrer. Viele stimmen ihm zu. Die Skulptur „Züge in das Leben – Züge in den Tod“, die an rettende Kindertransporte nach England während der Nazizeit erinnert, ist jüngstes Beispiel für Kunst im öffentlichen Raum. Sie gehört seit Wochen zu den meistbeachteten Kunstwerken – ist aber, weil historisch nicht haargenau, umstritten. So hat sich der FDP-Abgeordnete Christoph Meyer zu einer Anfrage an den Senat veranlasst gesehen. „Wer schützt Berlin vor gut gemeinter Kunst?“ Der Senat müsse „seine Gestaltungshoheit für den öffentlichen Raum wahrnehmen“, meint der Abgeordnete, sonst drohe eine „beliebige Möblierung von Straßen und Plätzen“.

"Wer schützt Berlin vor gut gemeinter Kunst?"

Meislers Werk gilt wie gut hundert andere größere Skulpturen als Kunst im öffentlichen Raum – die war in Berlin fast immer umstritten. Große Proteste löste beispielsweise der Künstler Wolf Vostell aus, als er mit Zustimmung der Behörden 1987 in Beto

Schlesische
Alles nur Fassade Wandbild an der Schlesischen Straße in Kreuzberg. -

© Mike Wolff

n gegossene Autos auf dem Rathenauplatz in Halensee aufstellte. Das Werk, als Signal gegen den Autowahn verstanden, wurde von Kritikern und vielen Anwohnern als Schändung öffentlichen Raums beschimpft, fand aber zunehmend Wohlwollen und gilt längst als fester Bestandteil der Stadt. Es ist für Fußgänger inmitten des verkehrsumtosten Platzes nur unter Lebensgefahr zu erreichen. Ein Kunstwerk, das immer wieder gern vor allem von Touristen fotografiert, angefasst und gar gestreichelt wird, ist die Skulptur „Berlin“ auf dem Mittelstreifen der Tauentzienstraße. Sie wurde, wie Vostells Werk, 1987 als Teil des Skulpturenboulevards zur damaligen 750-Jahr-Feier aufgestellt, um das geteilte Berlin zu symbolisieren. Die Formen sind so verschlungen, dass die Skulptur längst auch als vereintes Berlin gedeutet werden kann.

Das "Denkmal der grauen Busse" steht nun in Brandenburg

Es gibt Kunst, mit der viele Leute weniger anfangen können: etwa mit Rostwänden an der Philharmonie oder im Spreebogenpark, einem Stahlbogen am Kurfürstendamm, einer Art Satellitenschüssel vor der Schaubühne. Gern fotografiert wird dagegen „Balloon Flower“ von Jeff Koons auf dem einstigen Daimler-Gelände am Marlene-Dietrich-Platz. Oder Wandbilder wie das an einer Brandmauer an der Schlesischen Straße in Kreuzberg. Zum Nachdenken hat bis gestern das „Denkmal der grauen Busse“ vor der Philharmonie angeregt. Es erinnert an die sogenan

Bus
Nächster Halt. Der geteilte Betonbus steht nun in Brandenburg an der Havel.

© Mike Wolff

nte Euthanasie-Aktion, die an der einstigen Adresse Tiergartenstraße 4 erdacht wurde. In grauen Bussen wurden zur Nazizeit 200 000 psychisch Kranke und Behinderte in den Tod geschickt. Der geteilte Betonbus stand ein Jahr hier, ab heute ist er für ein Jahr auf dem Nikolaiplatz in Brandenburg an der Havel zu sehen. Der Künstler Horst Hoheisel überwachte gestern den Abtransport per Tieflader. Viele Betrachter haben den Bus für Kunst im öffentlichen Raum gehalten, aber er ist ein Denkmal, wie das Holocaust-Mahnmal und die Denkmäler für ermordete Homosexuelle und für Sinti und Roma, das im Bau ist – sie sind offizielle Gedenkstätten.

Es gibt Kritiker, die an der Kindergruppe, die vor dem Bahnhof Friedrichstraße steht, kein gutes Haar lassen. Weil diese historisch getreu hätte am Anhalter Bahnhof aufgestellt werden müssen. Auch gab es zum Zeitpunkt der Transporte keinen Judenstern, wie ihn eines der Kinder trägt. Der Senat findet auch die angedeuteten Gleise nicht passend, sie seien in der Berliner Gedenkkultur mit der Fahrt in den Tod, nicht in die Freiheit besetzt. Meisler selbst hat vermutet, die Kritik liege daran, dass die Skulptur nicht abstrakt sei. Den Kindern, den Geretteten und den vielen Zurückgebliebenen sollten die Betrachter in die Augen sehen können.

Der Senat will kein "ästhetisches Regelwerk"

Muss sich Berlin vor der geschenkten Skulptur schützen, die das Bezirksamt Mitte aufstellen ließ? Kulturstaatssekretär André Schmitz und der Beratungsausschuss Kunst sowie das Büro für Kunst im öffentlichen Raum hätten lieber einen Wettbewe

rost
Markant. Diese Skulptur steht vor der Philharmonie. -

© Mike Wolff

rb und ein Standort-Gutachten vorgeschaltet. Auch gibt es bezirkliche Kulturkommissionen. Aber die „gut gemeinte Kunst“ ist ein Geschenk des israelischen Künstlers Frank Meisler, der selbst eines der rund 10 000 Kinder war, die nur durch den Einsatz des britischen Parlaments vor Deportation und Ermordung gerettet werden konnten. Eine hoch sensible Angelegenheit, hat auch der Senat erkannt. „So ein Geschenk verweigert man nicht“, heißt es. Der Senat will aber auch in Zukunft „kein verbindliches ästhetisches Regelwerk“ aufstellen, um Ärger in Zukunft zu vermeiden . Er setze vielmehr auf die Fachberatung im Einzelfall, auf Beiräte, Preisgerichte, auf Ratschläge aus Parlament und Bezirken. Auf die Kunst auf Privatgrundstücken hat der Senat „keinen Zugriff“.

Spaziergänger Wolfgang Weiffen gefällt das Kindergruppen-Denkmal trotzdem. Ein Werk dieser Art müsse vor allem berühren, informieren, zum Nachdenken anregen. Das sei dem Künstler ganz offensichtlich gelungen.

Für die künstlerische Gestaltung im Stadtraum stehen nach Auskunft der Kulturverwaltung jährlich rund 300 000 Euro zur Verfügung. Gut gemeinte Kunst hat manchmal vielleicht nur als Geschenk eine Chance.

Christian van Lessen

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