zum Hauptinhalt
Prävention beim Bäcker. Mit einer Aufklärungskampagne auf Brötchentüten warben Senat, Verbände und Unternehmen gegen häusliche Gewalt.

© Kleist-Heinrich

Häusliche Gewalt: Gefahr in den eigenen vier Wänden

Trotz Präventionskampagne des Senats bleibt häusliche Gewalt ein Problem. Mehr als 7000 Anrufe gingen im vergangenen Jahr beim Opfertelefon ein. Beratungsstellen setzen auf wachsame Angehörige und Bekannte.

Mit Kinospots, Plakaten und Postkarten gegen häusliche Gewalt hat der Senat im vergangenen Sommer den Versuch unternommen, die Berliner für das Thema stärker zu sensibilisieren. Beratungsstellen loben die Initiative. Was die konkreten Fallzahlen angeht, können sie aber keine positive Bilanz für das vergangene Jahr ziehen. „Bei uns gingen rund 7000 Anrufe ein“, sagt die Leiterin der „Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen“ (BIG), Irma Leisle. Das sind etwas mehr Anrufe als im Vorjahr. Ob sich aufgrund der Senatskampagne mehr Anruferinnen melden, kann sie nicht sagen. „Häusliche Gewalt ist für viele immer noch ein tabubesetztes Thema“, sagt sie. Der Griff zum Telefon kostet meist Überwindung. „Es ist schwer sich einzugestehen: Ja, das passiert mir, und ich brauche Hilfe.“ Etwa 60 Prozent der Anruferinnen seien selbst Opfer, die übrigen weisen auf Gewalt im Bekanntenkreis oder im beruflichen Umfeld hin. Vom Beratungsgespräch bis zur Vermittlung von einem der 300 Plätze in Berliner Frauenhäusern kümmern sich die Mitarbeiterinnen der BIG-Hotline um alles. Auch mit der Polizei steht die Beratungsstelle in engem Kontakt.

Mit tödlichem Ausgang endete ein Fall häuslicher Gewalt in den letzten Tagen des Jahres 2010. Einen Tag vor Weihnachten lauerte ein 32-Jähriger in Wartenburg seiner Ex-Freundin auf und stach sie nieder. Sie starb noch am Tatort an ihren schweren Verletzungen. Die 30-Jährige hinterließ eine zweijährige Tochter, die dem Kindernotdienst übergeben wurde.

Erst am Donnerstag stand ein 35-jähriger Mann vor Gericht, der seine Frau gedemütigt, bedroht, geschlagen und vergewaltigt haben soll. Die 28-jährige Buchhalterin aus Wedding hatte den Vater ihrer Tochter angezeigt. „Er rief mich ins Wohnzimmer und stand mit einem Küchenmesser hinter der Tür“, schilderte die Frau. Ihr langjähriger Partner habe einen anderen Mann in ihrem Leben vermutet. „Mit wem gehst du fremd? Nenne den Namen, sonst schlitze ich dich auf“, soll Ibrahim V. gedroht haben. Er habe verlangt, dass sie sich auszieht. „Erst weigerte ich mich, er aber schlug mich“, sagte die Zeugin. „Er zwang mich zum Sex.“ Hastig wiederholte sie, was sie bereits bei der Polizei zu Protokoll gegeben hatte: „Wenn unsere Tochter nicht wäre, hätte ich dich längst zerstückelt und in Berlin verteilt.“ Verständnislos wirkte der Angeklagte. Immer wieder schüttelte er den Kopf. Eine Vergewaltigung bestritt er vehement. „Sie war meine erste Frau, wir wollten heiraten“, sagte der Gelegenheitsarbeiter. An jenem Tag im September habe er nach dem Konsum von Rauschgift und Alkohol mit seiner Lebensgefährtin reden wollen. Er vermutete, dass sie ihn betrügt. Die Demütigung habe er gefilmt. Körperliche Gewalt habe es aber nicht gegeben. „Das Messer nahm ich, um mir etwas anzutun.“ Ein Urteil wird kommende Woche erwartet.

Allein im Jahr 2009 zählte die Berliner Polizei mehr als 16 000 Fälle häuslicher Gewalt. Für 2010 ist mit ähnlich hohen Zahlen zu rechnen. Vier Opfer wurden 2009 getötet. In den meisten Fällen handelt es sich um Körperverletzungsdelikte, aber auch Stalking, Bedrohung oder Vergewaltigung werden von den Ermittlern gezählt. Nach der Statistik ist der größte Teil der Opfer weiblich und zwischen 30 und 40 Jahre alt. Als eine Erklärung sieht die Polizei den hohen Anteil der Scheidungen in diesem Alter. 2009 wurden mehr als 14 000 Opfer erfasst, darunter auch rund 3000 Männer. Das größte Problem sind für die Behörden Fälle, in denen die Opfer sich nicht trauen, den Täter anzuzeigen. Dann sind den Ermittlern die Hände gebunden. Dabei gibt es juristische Möglichkeiten, sich vor der Gewalt zu schützen. Im Jahr 2009 wurden stadtweit rund 1600 Wegweisungen, knapp 500 Betretungsverbote und ebenso viele Kontaktverbote von Richtern erlassen. Ein Drittel der Tatverdächtigen hatte keine deutsche Staatsangehörigkeit.

BIG-Hotline für Opfer häuslicher Gewalt: 611 03 00 (täglich 9 bis 24 Uhr)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false