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Berlin: Harte Strafen nach brutaler Selbstjustiz

Clique mit rechter Gesinnung machte Jagd auf vermeintliche Kinderschänder Gestern wurden sie zu Haftstrafen zwischen siebeneinhalb und neuneinhalb Jahren verurteilt

Seine Wunden waren DIN A5 groß. Verursacht durch ein heißes Bügeleisen. Nach dem Überfall verkroch sich Heinz W., ging trotz der schweren Verbrennungen nicht zum Arzt. Aus Angst, die Clique könnte zurückkehren und ihn erneut misshandeln. Seit gestern steht fest: Die Haupttäter der Jugendbande müssen für Jahre hinter Gitter. Eine Jugendstrafkammer verurteilte die drei jungen Männer für den Überfall auf Heinz W. und weitere Männer zu Haftstrafen von siebeneinhalb bis neuneinhalb Jahren.

Vier Monate lang lief der Prozess gegen insgesamt acht Angeklagte im Alter zwischen 17 und 31 Jahren. Es sind sechs junge Männer und zwei Frauen mit „tendenziell rechter Gesinnung“, befanden die Richter. Sie hatten im Mai letzten Jahres in wechselnder Tatbeteiligung drei Männer, die sie für Kinderschänder hielten, sowie zwei Punks, deren politische Einstellung und Lebensführung sie ablehnten, misshandelt und ausgeraubt. Ihre Selbstjustiz waren Folter und Hassorgien. Übergriffe, die das Gericht als „besonders grausam, menschenverachtend“ beschrieb. Ohne Mitgefühl für die Opfer hätten die Täter zugeschlagen.

Die Clique lungerte vor allem an einem Imbiss in Grünau herum. Einen Chef in der Truppe gab es nicht, eine Hierarchie wohl auch nicht. Wenn sie loszogen, war zunächst von einem „Denkzettel“ die Rede. Das Gericht habe immer wieder ergründen wollen, warum es zu einer solchen Eskalation der Gewalt kam, sagte der Vorsitzende Richter Peter Marhofer. Er stellte im Urteil fest: „Eine plausible Antwort hat die Hauptverhandlung nicht ergeben.“

Der erste Überfall am 1. Mai letzten Jahres: Der 40-jährige Bäcker Heinz W. stand an dem Imbiss, der für die Clique zum Treffpunkt geworden war. Eine 17-jährige Angeklagte sprach ihn an als Lockvogel. Sie trank mit ihm Bier und ließ sich von W. in seine Wohnung einladen. Er hielt sie für älter als 18 Jahre, dachte sich nichts dabei. Der rechte Schlägertrupp aber folgte heimlich. Der Lockvogel öffnete schließlich die Tür und sah mit an, wie der Mann gefoltert wurde.

Vier Männer, darunter der 26-jährige Sascha P., der nun die höchste Strafe bekam, schlugen auf den Bäcker ein, bedrohten ihn, raubten ihn aus. Als er die Geheimzahl seiner EC Karte nicht preisgeben wollte, erhitzte Sascha P. das Bügeleisen. Einer seiner Komplizen drückte es dem Opfer auf den Brustkorb, ein nächster auf den Oberschenkel. Wenige Tage später wurden zwei weitere Männer von der selbst ernannten und skrupellosen „Bürgerwehr“ überfallen. Einem 57-jährigen Opfer wurden Verbrühungen mit heißem Wasser angedroht, einen 30-jährigen Cousin einer 18-jährigen Angeklagten misshandelten sie mit einem Totschläger. Der Cousin stand in Verdacht, die Jugendliche in ihrer Kindheit missbraucht zu haben. Dafür gebe es Anhaltspunkte, hieß es im Urteil.

„Selbstjustiz aber kann in einem demokratischen Rechtsstaat unter keinen Umständen anerkannt werden“, sagte Marhofer. Er riet den Angeklagten, darüber nachzudenken, was es für sie selbst bedeuten würde, wenn ihre Opfer gegen sie vorgehen dürften. Es scheint jedoch, als wären die Angeklagten zu solchen Überlegungen noch nicht fähig. Sie hatten zwar die Vorwürfe im Wesentlichen gestanden. Nach Ansicht des Gerichts aber war in dem unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführten Prozess nicht durchgehend ehrliche Reue gezeigt worden.

Kerstin Gehrke

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