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Berlin: Hatun, unvergessen

Eklat bei der Mahnwache für die ermordete Frau Vertrauter der Familie Sürücü verlas Erklärung

Es wurde sehr still bei den Zuhörern, als der Tempelhof-Schöneberger SPD-Bezirksbürgermeister Ekkehard Band diese Sätze sprach: „Zwei Kugeln haben ihr das Gesicht zerrissen, die dritte Kugel durchschlug den Kopf am rechten Ohr. In der Hand hielt sie noch eine brennende Zigarette. Über ihren Körper floss Blut, das Blut der Ehre – nein, nicht der Ehre – das Blut der Schande des Ayhan Sürücü.“

Vor zwei Jahren wurde nahe einer BVG-Haltestelle in der Oberlandstraße Hatun Sürücü von ihrem jüngsten Bruder Ayhan wegen ihres westlichen Lebensstils erschossen. In Gedenken an die junge Frau, Mutter des kleinen Sohnes Can, versammelten sich gestern, am zweiten Jahrestag des Verbrechens, Politiker und Freunde am Tatort und legten Kränze nieder. Aufgerufen dazu hatten die Bündnisgrünen im Abgeordnetenhaus, allein sieben Fraktionsmitglieder waren gekommen.

Bezirksbürgermeister Ekkehard Band stimmte Wolfgang Huber, dem Berliner Bischof und Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland zu, der den Mord an Hatun Sürücü als „ein kollektives Verbrechen einer ganzen Familie“ angeprangert hatte. Dass ein Familienrat diesen Mord beschlossen haben könnte, konnte das Gericht aber nicht nachweisen: Ayhan Sürücü wurde zu neun Jahren und drei Monaten Haft verurteilt, seine mitangeklagten Brüder Mutlu und Alpaslan wurden aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Zurzeit prüft die Generalbundesanwaltschaft die Revision.

Als nach der Rede des Bezirksbürgermeisters der Familienhelfer Zakaeira Wahbi eine Stellungnahme der Eltern verlesen wollte, war die Empörung groß: „Eine Unverschämtheit“, schimpfte eine Frau. „Die Eltern hätten ihre Tochter schützen müssen.“ Eine Passantin sprach von „Geschmacklosigkeit“. Wahbi redete unbeirrt weiter. „Die Eltern trauern unverändert wegen des schweren Verlustes“, sagte er. Sie würden die Mahnwache nicht ablehnen, sondern „nur die Öffentlichkeit scheuen“. Die Eltern seien mit den Brüdern in der Türkei, um dort eine Trauerfeier mit Verwandten zu organisieren. Dass kein Vertreter der türkischen Vereine bei der Gedenkfeier anwesend war, war laut Eren Ünsal vom Türkischen Bund und laut Tacittin Yatkin von der Türkischen Gemeinde zu Berlin „Terminproblemen“ geschuldet.

Über den Mord sprach auch Seyran Ates, Anwältin und Menschenrechtlerin, am Abend bei ihrer Dankesrede anlässlich der Verleihung des Margherita-von-Brentano-Preises der Freien Universität, den sie für ihr Engagement für Frauenrechte erhielt. Während ihrer Rede legte sie eine Gedenkminute ein und sagte anschließend: „Hatun Sürücü und andere Frauen, für die ich mich eingesetzt habe, mussten sterben, weil sie ein selbstbestimmtes Leben führen wollten.“ Vor 500 Gästen, darunter auch viele Familienangehörige, dankte die Anwältin dafür, „dass ich in diesem Land politisiert wurde“. Jutta Limbach, die Präsidentin des Goethe-Instituts und frühere Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes, sagte in ihrer Laudatio, nicht das Konzept der multikulturellen Gesellschaft sei gescheitert, sondern die Integrationspolitik. Es habe in der Vergangenheit zu viel Ignoranz, Machtkämpfe und Mangel an Empathie gegeben. Sie kündigte an, Ates’ Initiative aufzugreifen und sich dafür einzusetzen, dass ein eigener Straftatbestand für Zwangsehen geschaffen wird.

Eine Statistik zu so genannten Ehrenmorden führt die Polizei in Berlin nicht. clk/sib/tabu

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