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Ein Stückchen Russland. Der Förderverein Heilandskapelle sammelte Geld für die Restaurierung der alten hölzernen Kirche. Wie lange die Arbeiten dauern, ist noch unklar. Foto: ZB

© picture-alliance / ZB

Heilandskapelle in Frankfurt/Oder: Aus gutem Holz geschnitzt

Zum ersten Mal seit der Wende, wird die Heilandskapelle in Frankfurt an der Oder restauriert. Lange Zeit war sie als "Russenkirche" bekannt, denn von überwiegend russischen Kriegsgefangenen wurde sie im Ersten Weltkrieg gebaut.

Die Heilandskapelle in der Heimkehrsiedlung hieß nicht immer so. Erst 1928 bekam sie diesen Namen und wurde Mitglied in der evangelischen Kirchengemeinde. Davor war sie als „Russenkirche“ bekannt, weil sie im Ersten Weltkrieg überwiegend von russischen Kriegsgefangenen errichtet wurde. Sie steht auf dem Gelände eines ehemaligen Kriegsgefangenenlagers im Nordwesten von Frankfurt.

Bis 1907 war hier ein Braunkohleabbaugebiet, die „Grube Vaterland“. Heute erinnert die Kapelle im Eichenweg von ihrer Bauweise her an die Russische Kolonie „Alexandrowka“ in Potsdam. Wohin der Blick im Innern auch geht – alles besteht aus Holz. Die Sitzbänke, die Wände, der Altar, die kleine Kanzel, der Boden, die Decke. Die zwölf Apostel, in Handarbeit von den Lagerinsassen geschnitzt, verzieren Kanzel und Wände. Ein großes „W“ steht in der Mitte des Altars, darüber eine Krone. „Das W erinnert an Kaiser Wilhelm II.“, sagt Lothar Schneider, Mitglied des Fördervereins Heilandskapelle e.V. „Wir glauben, dass es auf Verlangen der Wachleute in den Altar geschnitzt wurde.“

Fast 23 000 Kriegsgefangene wurden hier bis zum Ende des Ersten Weltkrieges festgehalten. Der größte Teil kam aus dem Russischen Reich. „Zu dem gehörten damals weit mehr Nationalitäten als heute“, erklärt der 69-jährige Schneider. „Unter den Kriegsgefangenen waren Polen, Weißrussen, Ukrainer und Finnen – alles Angehörige der russischen Armee –, aber auch Engländer, Franzosen, Belgier, Rumänen, Italiener und Serben.“

Die Heilandskapelle sollte zunächst eine Kirch- und Kulturhalle für die Wachmannschaft des Lagers werden. Die Haager Landkriegsordnung, die völkerrechtliche Verpflichtungen und Maßgaben zu Kriegen beinhaltet, erlaubte es den Gefangenen aber, ihre Religion frei auszuüben und eigene Andachtsräume zu errichten. So begannen 1914 die Bauarbeiten. „Die Holzblockhausbauweise, in der die Kapelle errichtet wurde, ist typisch für Russland und Skandinavien“, sagt Schneider. „Deshalb auch der Name Russenkirche.“ Ein Kuriosum in der Heilandskapelle sind die rund 200 Drachen. Sie sind eingeschnitzt in die Kronleuchter und Holzbalken oder wurden über den Fensterrahmen aufgehängt. Ihre Bedeutung kann unterschiedlich ausgelegt werden, meint Werner Benecke, Professurinhaber des Studiengangs Kultur und Geschichte Mittel- und Osteuropas an der Europa-Universität Viadrina. „Der Drache als Bestandteil der russischen kunsthandwerklichen Tradition ist eigentlich nicht prominent“, sagt Benecke. Um die Zeit des Ersten Weltkriegs herum habe in weiten Teilen Europas aber eine große Faszination für das Nordische geherrscht. „Die Drachenmotive könnten eher von diesem Phänomen inspiriert worden sein.“

42 Mitglieder hat der Förderverein der Heilandskapelle. Neben Werner Benecke gehört auch der renommierte Osteuropa-Historiker Karl Schlögel dazu, der seit 1994 Osteuropäische Geschichte an der Viadrina lehrte und in diesem Jahr emeritiert wurde. „Ich weiß noch, wie beeindruckt Professor Schlögel war, als er die Kapelle zum ersten Mal betrat“, erinnert sich Schneider. Die Viadrina hat die Heilandskapelle als Forschungsgegenstand entdeckt. „Wir versuchen, die russischen Kreise in Berlin auf die einzigartige russische, geschichtliche Quelle aufmerksam zu machen“, sagt Werner Benecke.

Die Kirche wurde im europäischen Stil gebaut, der Altar nach Osten, der Turm nach Westen, und von den Gefangenen für verschiedene Gottesdienste genutzt: sowohl Protestanten wie Katholiken, Baptisten, Orthodoxe und Juden kamen hierher. Im Westen des Kirchenschiffes gibt es hinter verschlossenen Türen eine Bühne, in der damals wie auch heute noch Kulturveranstaltungen stattfinden.

Nach dem Separatfrieden mit Sowjetrussland und dem Waffenstillstand von Compiègne 1918 zwischen dem Deutschen Reich und den Alliierten Frankreich und Großbritannien, wurden die Kriegsgefangenen nach und nach aus dem Lager entlassen. Seit 1921 standen Lager und Kirche leer. Bedeutung erlangten sie erst wieder, als die sogenannten Optanten 1923 in das ehemalige Kriegsgefangenenlager zogen und das Heimkehrlager gegründet wurde. Nach dem Versailler Vertrag war das Deutsche Reich dazu verpflichtet, die Gebiete Posen, Westpreußen und Oberschlesien an die neu entstandene Zweite Republik Polen abzutreten. Die Menschen, die in den nun polnischen Gebieten lebten, konnten sich entscheiden, ob sie für die polnische oder die deutsche Staatsangehörigkeit optieren – entschieden sie sich für die deutsche, mussten sie in das Deutsche Reich umsiedeln. „Für viele war das Heimkehrlager nur eine Durchgangsstation“, sagt Helmut Deichsler, dessen Eltern im Heimkehrlager ein Haus bauten.

Die „Russenkirche“ stand zu dem Zeitpunkt leer und sollte abgerissen werden. 1925 gründete sich aber ein Verein zur Wiederbelebung des kirchlichen Lebens im Heimkehrlager, und 1926 wurde die Kapelle zum ersten Mal mit Fördermitteln restauriert und erhielt ihren neuen Namen. Zu DDR-Zeiten wurde die Heilandskapelle 1984 unter Denkmalschutz gestellt, 2001 gründete sich der Förderverein Heilandskapelle e. V.

Jeden Sommer finden kulturelle Veranstaltungen in der Heilandskapelle statt. „In diesem Sommer waren es weniger, weil die Kapelle mit den von uns gesammelten und gespendeten Geldern endlich vernünftig restauriert wird“, sagt Schneider. Anfang September haben die Arbeiten begonnen.

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