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Heinz Buschkowsky (SPD) wohnt seit seiner Geburt in Neukölln. Der 61-Jährige ist seit 1979 in verschiedenen Gremien des Bezirks aktiv.

© ddp

Heinz Buschkowsky: "BBI wird Neukölln Schub geben"

Der Bezirksbürgermeister von Neukölln Heinz Buschkowsky über die Zukunfts- und Entwicklungschancen des Kiezes.

Welches Vorurteil über Neukölln ärgert Sie als Bezirksbürgermeister besonders?

Der Bezirk Neukölln wird gerade von den Medien immer wieder durch große Schlagzeilen und simplifizierte Darstellungen als der größte Problembezirk Deutschlands dargestellt. Dies lässt völlig außer Acht, dass Neukölln mehr ist als die Summe seiner Probleme. Es ist ein Gemeinwesen, das die Heimat von über 300 000 Menschen darstellt, über eine beeindruckende Geschichte und eine vielfältige Wirtschaft verfügt. Das Musikschul- und Volkshochschulwesen hatte hier seine Krippe und die Perinatalmedizin ist in Neukölln von Prof. Saling entwickelt worden. Die Technik für implantierbare Herzschrittmacher wurde von Prof. Schaldach in Neukölln entwickelt, woraus die Firma Biotronik entstand, die einer der Weltmarktführer der Kardiotechnik und zugleich größter privater Arbeitgeber Neuköllns ist.

Wo sehen Sie die größten Schwierigkeiten für den Bezirk?

Die Neuköllner Innenstadt hat bei rund 160 000 Einwohnern heute einen Bevölkerungsanteil von Menschen mit Migrationshintergrund von 55 %, in unseren Schulen sind es 84 bis 100 %. Insgesamt leben in Neukölln 120 000 gemeldete Menschen mit einem Migrationshintergrund. In zehn Jahren wird Nord-Neukölln ein Gemeinwesen sein, in dem etwa 75 % der Einwohner einen Migrationshintergrund haben werden. Wenn wir wollen, dass Berlin-Neukölln auch in der Zukunft nicht nur geografisch, sondern auch in den Köpfen und Herzen der Menschen mitten in Europa liegt, dann müssen wir mit unserer Politik heute dafür die Weichen stellen. Das heißt konkret, das Wertegerüst unserer Bürgergesellschaft, bestehend aus den Grundpfeilern der Würde jedes Einzelnen, der Gleichberechtigung der Geschlechter und der Gewaltfreiheit auch in der Familie, darf nicht zur Disposition stehen. Die Zukunft Neuköllns als eine bunte, offene, solidarische und demokratische Gemeinschaft hängt entscheidend davon ab, ob es gelingt, die bestehenden Parallelgesellschaften zu überwinden.

Was spricht Ihrer Meinung nach für den Bezirk?

Neukölln hat seit dem Mauerfall rund 20 000 Arbeitsplätze verloren. Insbesondere im Bereich der Niedrigqualifikation und der betrieblichen Anlernausbildung. Die Arbeitsplätze sind in Billiglohnländer abgewandert und die dafür angeworbenen Arbeitskräfte heute zumeist arbeitslos. Die Nachfrage nach Arbeitskräften und das Angebot an Arbeitskräften stimmen in Neukölln nicht mehr überein. Dennoch verzeichnet die Neuköllner Wirtschaft ausgesprochene Aushängeschilder. Bei uns steht die größte Kaffeerösterei der Welt, die Firma Philip Morris produziert täglich 220 Millionen Zigaretten für den Export bis nach Japan. Das modernste Nutzfahrzeugzentrum der Welt von Daimler Benz ist im Süden des Bezirks zu besichtigen.

Wie wird sich der Flughafen Berlin-Brandenburg International auswirken?

Mit der Inbetriebnahme von BBI wird die Entwicklung Neuköllns einen Schub bekommen. Die Erfahrungen auf der ganzen Welt belegen, dass die Inbetriebnahme eines internationalen Airports prosperiert. Rund 20 000 Arbeitsplätze werden neu entstehen. Gleichwohl ist es so, dass es bei vielen jungen Menschen aus bildungsfernen Schichten derzeit noch eine Diskrepanz zwischen ihren Wünschen und deren Realisierbarkeit gibt. Eine Reform und höhere Effizienz des Bildungswesens wird entscheidend dafür sein, ob wir die jungen Menschen davon überzeugen können, dass unsere Gesellschaft für jeden von ihnen einen Platz bereit hält. Beispiele hierfür sind Projekte und Maßnahmen wie die Stadtteilmütter, die Schulstationen an den Neuköllner Grundschulen, der Modellversuch am Albert-Schweitzer-Gymnasium und die Entwicklung von Campus Rütli. 

Wie sehen Sie die Zukunft Neuköllns?

Erste Zeichen der Veränderung sind in dem Gebiet zwischen Maybachufer und der Sonnenallee zu erleben. „Kreuzkölln“, so hat der Volksmund dieses Gebiet inzwischen getauft. Noch haben die Veränderungsprozesse durch Gaststätten, Bars und Galerien die Wohnebenen der Häuser nicht erreicht. Noch sind die jungen Leute und die Labels der Kreativwirtschaft nur Vorboten, sozusagen Quartiermacher für ein neues Neukölln, das „in“ ist. Wenn diese Entwicklung auch in den Wohnetagen ihren Niederschlag findet und Eltern zum Zeitpunkt der Einschulung ihrer Kinder nicht den Wohnort wechseln, sondern das Quartier stabilisieren, dann haben wir unsere heutige Geißel, die Segregation, überwunden und werden zur Schau- und Schlaustelle der Stadt Berlin.

Von Janina Guthke

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