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Ja, sie steht noch! Vor dem Eingang zum Zeltdorf an der Eisfabrik gibt es sie noch: die Hinterlandmauer, fünf standardisierte Elemente.

© Kitty Kleist-Heinrich

Streit um Berliner Mauer am Spreeufer: Hilfe! Unsere Mauer kommt weg

Eine Initiative möchte das Stück Grenze an der Eisfabrik retten – der Bezirk plant hier einen Uferweg. Ein Rundgang im Hippie-Schmuddel an der Schillingbrücke.

Hilfe! Unsere Mauer wird beseitigt! Zu einer Veranstaltung, die am Vorabend des 13. August auf dem wilden Spreeuferweg zwischen Schilling- und Michaelbrücke stattfinden soll, hat mit alarmierendem Empörungsmodus die Initiative „Luise Nord“ eingeladen. Der dafür zeichnende Kulturnetzwerker Eberhard Elfert erkennt in dem Entwurf des Bebauungsplans „Holzufer“, jüngst vom Bezirksamt Mitte veröffentlicht, einen Anschlag auf Reste von Grenzanlagen der DDR, die zum Teil seit 2005 unter Denkmalschutz stehen. Doch seien nicht nur Rudimente des Sperranlagensystems – darunter ein Bootsbunker, Lampen, Zäune – von solch verlängerndem Ausbau des Paula- Thiede-Ufers zur öffentlichen Straße bedroht. Was sich im Brachendschungel zwischen leerstehender Eisfabrik an der Köpenicker Straße und dem Fluss „an kulturellem und nachbarschaftlichem Leben“ entwickelt habe, könne nach solch einer Erschließung kaum weiterbestehen; so das Projekt „Teepeeland“, wo man sich für eine „nachhaltige Entwicklung des Uferweges“ einsetze. Im aufwendig begangenen 25. Jahr des Mauerfalls seien derartige „Pläne zum Abriss ... überhaupt nicht nachvollziehbar“.

Eberhard Elfert und seine „Luise Nord“ widmen sich dem „in Vergessenheit geratenen“ Gebiet zwischen den Bahnhöfen Jannowitzbrücke und Moritzplatz, der Köpenicker und der Heinrich-Heine-Straße: dem Nordteil der einstigen Luisenstadt. „Hier gibt es – vor allem entlang des einstigen Mauerverlaufes – unbebautes Gelände“, heißt es auf der Projekt-Homepage: „Hier trifft eine spannende und wechselvolle Geschichte auf sehr unterschiedliche Nutzungen und Wünsche.“

Hinter der Eisentür zum Bootsbunker der DDR-Grenzer: ein traumhafter Blick auf die Spree.
Hinter der Eisentür zum Bootsbunker der DDR-Grenzer: ein traumhafter Blick auf die Spree.

© Kitty Kleist-Heinrich

Wer sich allerdings derzeit westwärts die Spree entlang, Schillingbrücke, Verdi-Hochhaus und Paula-Thiede-Ufer im Rücken, über Erdpfade und verkrautete Passagen aufs steppige Terrain Richtung Michaelbrücke begibt, erlebt vor allem jenen Hippie-Schmuddel reloaded, den Abenteuer-Touristen gern zum Markenzeichen der Berlin-Romantik verklären. Müll verteilt sich über Buschecken. Nasse Teppiche müffeln im Sand, lüften überm efeubewachsenen Ufergelände. Zum „Teepeeland“, der Siedlung aus Wigwams, Hütten und Campingzelten, lädt das Introplakat „Love Loves Freedom“. Hier mischen sich gestalterische Mühe, liebevoll ummauerte Beete und akkurate Pflasterwege mit chaotischem Messieanismus. Viele, viele Drahtesel lehnen in den Ecken, werden aufgemöbelt. Flußwärts wirbt ein orange-blau-gelbes Plakat für Teepeeland Cultural Projekts.

Uferweg für Fußgänger und Radler geplant

Als spektakuläre Geschichts-Relikte fallen hier nur dem, der’s weiß, fünf besprühte Elemente des Hinterlandschutzwalls auf (Graffiti: „2014 Do you wanna be in the business“); und hinterm Zeltdorf ein Bootsbunker der Grenzer. Vor der Bunkertür ein Aushang: „Das Bootshaus ist der Raum im und am Wasser. Die Spree im Raum plätschert begleitend zur kulturellen Nutzung von Ausstellungen, Workshops, Tanz, Gesang, Film, gemeinsamem Essen, Versammlungen und womit man sonst noch Atmosphäre schafft.“ Wer durch den Spion in der Eisentür blinzelt, sieht ein Motorboot unterm Bunkerdach im Wasser, einen breiten Brettersteg als Tanzdeele vor großen Fenstern. Auch auf dem Dach kann geschwooft werden. Die fünf Mauerelemente stehen vorm Dorfeingang, sind rückwärtig mit dem Allerlei des Nomadenalltags zugemüllt. Hinweise auf den Denkmalcharakter der DDR-Überbleibsel: keine.

Das Zeltdorf vor der leerstehenden Eisfabrik beherbergt die selbsternannten Wächter des Mauerstreifens.
Das Zeltdorf vor der leerstehenden Eisfabrik beherbergt die selbsternannten Wächter des Mauerstreifens.

© Kitty Kleinst-Heinrich

Dass zur Zeit niemand die Absicht hat, diese Mauerreste abzureißen, war eigentlich schon bei einer gut besuchten Infoveranstaltung des Bezirks im Forum der nahen Evangelischen Kirche im Juli klar geworden. Baustadtrat Carsten Spallek und Andreas Bachmann vom koordinierenden Sanierungsbüro hatten da erläutert, dass es noch keinen fertigen Plan gebe, vielmehr würden ab sofort Ideen für Details und Gesamtkonzepte gesammelt. Am Ende des Abends war der Bezirk für die frühzeitige Bürgerbeteiligung gar aus dem Publikum gelobt worden.

Instrumentalisiert der Alarmismus von „Luise Nord“ nur Denkmalschutzargumente, um den status quo für andere „Nutzungen und Wünsche“ zu erhalten? Gegenüber dem Tagesspiegel bekräftigt Stadtrat Spallek, dass keineswegs eine Autostraße, sondern ein Uferweg für Fußgänger und Radler geplant sei. Derzeit gehe es darum, einen Uferstreifen von 10 bis 20 Metern in öffentlichen Besitz zu bringen; einige Parzellen müssten noch erworben werden. Im August werde eine Homepage eingerichtet, auf der jeder große und kleine Gestaltungsideen einbringen dürfe. Man biete Bürgerbegehungen und Workshops an, werde Ende 2015 einen „freiraumplanerischen Wettbewerb“ ausloben. 2016 solle eine Jury entscheiden, zu der auch die Betroffenenvertretung gehöre. Auf welche Art die Mauerrelikte integriert würden oder ob etwa der Uferweg um den Bunker herum oder gar über diesen hinweg führe, bleibe bis dahin offen.

Und das Mauerstück bleibt dicht.

Und wo steht die Mauer im Jahr 2014 immer noch? Unter diesem Tagesspiegel-Link nennen wir Ihnen einige Orte in Berlin. Von Kladow bis Kreuzberg, vom Mauerpark bis Zehlendorf.

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