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Berlin: Hinter dicken Mauern

Gransees Befestigungsring ist rundherum nahezu komplett erhalten. Seit Jahrhunderten hat sich dort nichts geändert. Wer durch die Stadttore geht, erlebt Gassen aus der Ritterzeit, Sommermusiken und die Sage vom Falschen Waldemar

Hier zeigt sich die Natur von ihrer besten märkischen Seite. Alte knorrige Eichen, sorgsam zu Alleen gepflanzt, bilden einen kilometerlangen Baldachin. Die Farbe des Blattwerks wechselt in diesen Wochen gerade vom zarten Frühlingsgrün der jungen Triebe zur tiefen Grünfärbung des nahen Sommers. Noch ein paar Kilometer, dann erscheint in der Ferne die Stadt: Umgürtet von ihrer Wehrmauer, überragt vom gewaltigen Kirchenschiff, ein Bild wie einst im Mittelalter.

Als sich der Dichter Theodor Fontane bei seinen Märkischen Wanderungen im 19. Jahrhundert dem wehrhaften Ort näherte, beschrieb er schon „1000 Schritte“ vor dem südwestlichen Stadttor den ersten vorgelagerten Wachturm. Das achteckige Bauwerk aus dem 14. Jahrhundert steht bis heute auf dem höchsten Punkt der Gegend, dem Warteberg, und war lange Zeit ein wichtiger Vorposten, um Feinden den Vormarsch zu erschweren. Bis heute führt die enge Wendeltreppe zwischen Feld- und Backsteinmauern steil hinauf zur Aussichtsplattform, wo einst der Türmer wachte. Und auch die weite Aussicht ins Land hat sich nicht allzu sehr verändert.

In Gransee scheint die Zeit ein wenig stehen geblieben zu sein. Seine Stadtmauer aus dem 13./14. Jahrhundert zählt zu den besterhaltenen märkischen Befestigungsanlagen in Brandenburg. Gebaut wurde sie aus Feldsteinen und Kalkmörtel, rund sechs Meter hoch, gekrönt von ziegelbewehrten Zinnen und 35 Weichhäusern, auch Wieckhäuser genannt, an denen sich die Verteidiger beim Hin- und Herrennen auf den ansonsten schmalen Wehrgängen gegenseitig ausweichen konnten. Über Jahrhunderte hinweg hat sich an diesem Bild bis heute wenig verändert.

Ein ideales historisches Erbe also, um Touristen und Sommerfrischler nach Gransee zu locken. Doch im Vergleich zu anderen märkischen Altstädten geht es in diesem geschichtsträchtigen Ort auffällig beschaulich zu. Gransee scheint noch unentdeckt und wartet „auf den Kuss des Prinzen“, wie es manche Einheimische ausdrücken, die sich mehr Einnahmen aus dem Fremdenverkehr erhoffen. Denn auch Gransees hohe Mauern konnten die Stadt nicht vor den typischen Problemen auf dem Brandenburger Land bewahren: Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Schwierigkeiten. Inzwischen bemühen sich allerdings die Granseer, ihren Ort selbst wachzuküssen: Mit Altstadtfesten und Sommermusiken, perfekt ausgebauten Wanderwegen in die herrliche Landschaft drumherum sowie einer behutsamen Restaurierung des Stadtbildes. Und natürlich mit ungewöhnlichen Geschichten – beispielsweise vom „Falschen Waldemar“. An diese legendenumwobene Figur erinnert ein kleiner Durchgang mit Spitzbogen, links vom Ruppiner Tor – das „Waldemartor“.

Warum ein kleines und ein großes Tor nebeneinander? Theodor Fontane lässt Friedrich Knuth die Frage beantworten, der 1840 in seiner „Chronik von Gransee" berichtete, dass Markgraf Waldemar im Jahre 1319 verstarb, ohne Nachkommen zu hinterlassen. Dadurch blieb die Mark vier Jahre ohne Regenten, was in den benachbarten Fürstentümern Begehrlichkeiten weckte:

„Ein Müllersbursche, namens Rehbock, der dem verstorbenen Waldemar sehr ähnlich sah, wird von den Fürsten bestochen, muß sich als Pilger in der Mark zeigen, und von sich selbst sagen: Er sei Waldemar, und man habe einen toten Menschen statt seiner beerdigen lassen. Überall wo er durchzog, ward er bewundert und fand Anhang. Nachdem aber diese Betrügerei entdeckt, und . . . die hierdurch entstandenen Unruhen einigermaßen bekämpft waren, mußten alle Städte, die dem falschen Waldemar bei seinem Durchzuge sich ergeben gezeigt hatten, zur Strafe ihre Tore zumauern."

Da auch die Granseer den Falschen Waldemar in ihre Stadt gelassen hatten, wurden sie vom Markgrafen mit der Schließung des Tores, durch das Waldemar die Stadt betreten hatte, bestraft. Erst im Jahre 1818 wurde das bis dahin zugemauerte kleine Waldemar- tor wieder geöffnet.

In Gransee liegt alles dicht beieinander. Nah dem Ruppiner Tor die mittelalterliche Kapelle „Sankt Spiritus“, die zum Hospital gehörte, wo arme und sieche Menschen Obdach fanden. Und ein paar Schritte weiter die Pfarrkirche St. Marien, die heute viel zu groß für das Städtchen wirkt und den Klang ihrer Glocken weit hinaus ins Land schickt. Von April bis Oktober finden in der Kirche die Granseer Sommermusiken statt. Dann zeigt auch die 1744 geweihte Orgel, was in ihr steckt.

Vom südlichen Kirchturm blickt man hinab auf kleine, verwinkelte Höfe und Gassen. Die später nach dem großen Brand von 1711 angelegten Hauptstraßen sind dagegen wie auf dem Reißbrett mit dem Lineal gezogen – und drumherum legt sich der mächtige Ring der Mauer mit den Wallgärten, die einst auf königliche Order hin angelegt wurden.

Theodor Fontane hatte Recht, als er bei seinem Streifzug durchs nördliche Brandenburg schrieb: „Gransee war eine feste Stadt, vielleicht die festeste der Grafschaft Ruppin.“

Auf die Kapelle Sankt Spiritus. Die Hospitalkapelle beherbergt heute das Heimatmuseum.

Auf den Geronsee. Hier kann man vom Bootsverleih aus eine Ruderpartie unternehmen.

Aufs Ruppiner Tor. Ein schönes Beispiel spätgotischer Backsteinarchitektur. Heute ist dieses Stadttor das Wahrzeichen Gransees.

Auf Gransee mit der Pfarrkirche St. Marien. Diesen Blick auf die Stadt und ins malerische Umland hat man vom Zinnenkranz des Pulverturms.

Auf den Pulverturm.Hier wurde die Munition hinter dicken Mauern gelagert. Den Turm schmücken filigrane Zinnen.

Carl-Peter Steinmann

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