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Berlin: Holocaust-Gedenktag: "Können Juden Deutsche sein"

Rafael Seligmann gab sich gut gelaunt: "Ich freue mich, dass ich nicht vor betretenem und bußfertigem Publikum darüber reden soll, wie schlecht es den Juden geht und welche Urstände der Antisemitismus feiert." Tatsächlich erweckten die Schüler diesen Eindruck nicht, als sie gestern Morgen in das Haus der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in der Tiergartenstraße gekommen waren, um anlässlich des Holocaust-Gedenktages "in den Dialog zu kommen", wie es Gesprächsleiter Stephan Eisel formulierte.

Rafael Seligmann gab sich gut gelaunt: "Ich freue mich, dass ich nicht vor betretenem und bußfertigem Publikum darüber reden soll, wie schlecht es den Juden geht und welche Urstände der Antisemitismus feiert." Tatsächlich erweckten die Schüler diesen Eindruck nicht, als sie gestern Morgen in das Haus der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in der Tiergartenstraße gekommen waren, um anlässlich des Holocaust-Gedenktages "in den Dialog zu kommen", wie es Gesprächsleiter Stephan Eisel formulierte. Mehr als 1000 Berliner Oberschüler aus 18 Klassen sollen es insgesamt sein, die der Einladung der KAS gefolgt sind, um mit prominenten Juden, Zeitzeugen und Fachleuten auf der noch heute andauernden Veranstaltung in mehreren Foren zu diskutieren.

Der Schriftsteller Seligmann wollte dabei seine Zuhörer provozieren: "Können Juden Deutsche sein?" Dabei sei es doch eigentlich ganz gut um das deutsch-jüdische Miteinander bestellt; Heine und Einstein etwa zierten ja sogar Briefmarken. Vergleiche man jedoch berühmte Juden mit berühmten Nicht-Juden wie etwa Helmut Kohl, Boris Becker und Franz Beckenbauer, so läge der Unterschied darin, dass die Juden alle tot seien. "Die große Liebe der Deutschen zu den Juden", sagte Seligmann, "kommt mir manchmal so vor die wie die eines Schmetterlingsammlers." Auf die Frage eines Schülers, ob der von der Seligmann postulierte "Phantomschmerz" der Deutschen an ihrer ehemaligen jüdischen Bevölkerung auch noch in der jüngeren Generation gelte, sagte der Schriftsteller: "Eines Tages werden Sie auch darunter leiden."

Während Seligmann diese These erhob, ging es im Raum nebenan um reale Erfahrungen: Die 1918 geborene Jüdin Ilse Rewald erzählte einer anderen Gruppe von Schülern, wie sie sich während der Nazi-Herrschaft unter falscher Identität im Versteck in Berlin durchschlagen musste. Sie schilderte ihre Angst vor dem Blockwart, die Sorge um deportierte Angehörige und reichte ihre von den Nazis mit einem großen "J" versehene Kennkarte durch die Reihen.

Um die Zukunft des Judentums in Deutschland ging es zur gleichen Zeit ein Stockwerk höher. Michael Fürst, Vorsitzender der niedersächsischen jüdischen Gemeinde, sprach über den Wandel durch das Anwachsen der jüdischen Gemeinde nach der Wiedervereinigung durch die Zuwanderung russischer Juden. Aber er landete schließlich beim gegenwärtigen Aufflammen des Rechtsextremismus in Deutschland. "Wir müssen bei der Erziehung der Kinder anfangen", sagte Fürst. Deutschland müsse wohl damit leben, dass es hier Rechtsextreme gäbe, müsse sich aber auch darum kümmern, dass es weniger würden. In dieselbe Kerbe schlug auch Seligmann, als man ein Stockwerk tiefer auch bei diesem Thema angelangt war. "Man kann damit leben", sagte er. Entscheidend sei es, dass man sich dagegen wehre.

Und auch die Überlebende Rewald kam über das Erinnern an den Holocaust bei den in gleichem Namen begangenen Verbrechen der Gegenwart an. "Ich weiß, Sie können an der Vergangenheit nichts ändern", sagte sie und gab den Schülern dann einen Ratschlag mit auf den Weg: "Aber wenn Sie die Vergangenheit nicht kennen, können Sie heute nicht gegen die Neonazis gewappnet sein. Man kann nur miteinander in Frieden leben, wenn jeder persönlich etwas dafür tut."

Alexander Pajevic

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