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Für Berlin-Touristen ist ein Gang durch das Holocaust-Mahnmal ein wichtiger Programmpunkt ihrer Hauptstadtvisite.

© Thilo Rückeis

Steinige Erinnerung: Holocaust-Mahnmal besteht seit 15 Jahren

Vor 15 Jahren wurde das Berliner Holocaust-Mahnmal eingeweiht. Im Vorfeld vielfach kritisiert, gehört es heute längst zum Bild der Stadt.

Er denkt ein paar Sekunden nach, dann antwortet Stiftungschef Uwe Neumärker auf die Frage nach dem emotionalsten Moment: „Da gab es viele. Aber noch immer ist mir dieser Moment vor 15 Jahren in wacher Erinnerung: Ich stehe, ganz allein, zwischen den 2700 Betonquadern.

Ein blauer Himmel spannt sich über das graue Stelenfeld. Hier und da kommt eine weiße Wolke und verdunkelt die Sonne. Es ist still. Mich umschließt der Stein. Ich bin allein in einer anderen Welt. Diese Begegnung mit diesem Zusammenspiel von der Natur und dem Beton habe ich wie ein Treffen von Leben und Tod empfunden. Und mit dem stolzen Gefühl: Wir haben es geschafft!“

Nach all den Debatten, einem jahrelangen Für und Wider war es endlich fertig, das Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Eine beunruhigende Landschaft mit 2700 Betonquadern, die am 12. Mai 2005 im Herzen der Stadt, mitten im einstigen Regierungsviertel des Dritten Reichs vom Architekten Peter Eisenman geschaffen wurde.

Uwe Neumärker, Direktor der Denkmal-Stiftung, kann stolz darauf sein, dass „sein“ Mahnmal auf der Liste der beliebtesten deutschen Sehenswürdigkeiten auf dem dritten Platz steht – nach dem Reichstagsgebäude und dem Brandenburger Tor. Von hier laufen die Gäste der Stadt zum Mahnmal, dann zum Gelände des einstigen Führerbunkers an der Reichskanzlei, vorbei an der Erinnerungsskulptur für den Hitler-Attentäter Rudolf Elser bis zur „Topographie des Terrors“ am Gropius-Bau. Berlins City ist ein Parcours der Erinnerungen an Deutschlands schlimmste Zeit und ihre braunen Akteure.

500.000 Besucher jährlich

Ein wichtiger Teil des Mahnmals zwischen Ebert- und Wilhelmstraße ist der „Ort der Information“, in dem der Nazi-Terror gegen die jüdische Bevölkerung Europas mit Namen, Zahlen, Fakten und erschütternden Einzelschicksalen beschrieben und dokumentiert wird.

Etwa 500.000 Besucher werden jährlich in den Katakomben gezählt, von früh um Zehn bis 19 Uhr reißt der Strom in der unterirdischen Dokumentation der Nazi-Barbarei nicht ab. Der „Ort der Information“ könnte auch als „Ort der Emotionen“ bezeichnet werden, die Gästebücher zeugen davon. Der Tenor der Eintragungen: Nie wieder deutscher Größenwahn. Seid wachsam und wehret den Anfängen!

[Niemals vergessen! Wo Berlin der Opfer des Nationalsozialismus gedenkt, mit Stolpersteinen und kleineren Gedenkorten in Kiezen und Ortsteilen, können Sie hier auf einer interaktiven Karte sehen: https://interaktiv.tagesspiegel.de/lab/niemals-vergessen]

Der Stiftungschef hat Staatslenker aus aller Welt durch die Stelen geführt, für sie gibt es ein eigenes Gästebuch. Kurz nach der Einweihung – und Uwe Neumärker erinnert sich daran noch ganz genau – kam ein sehr lebendiger älterer Herr namens Sally Perel, eigentlich Salomon Perel, auch bekannt als Shlomo Perel, während der Nazizeit Josef Perjell. Um das Geheimnis ganz zu lüften: Sally Perel ist ein israelischer Autor deutscher Herkunft. Als Mitglied der Hitlerjugend war es ihm gelungen, seine jüdische Identität zu verbergen und den Nationalsozialismus zu überleben.

Er schrieb die von Arthur Brauner 1990 verfilmte Autobiografie „Ich war Hitlerjunge Salomon“. Der 1925 in Peine geborene Überlebende legte Blumen auf die Stelen. „Deutschland ist ein symbolisches Grab für meine Angehörigen.“ Und als die Kinder von einer Stele zur anderen sprangen und dabei lachten, sagte er spontan: „Das empfinde ich wie einen späten Triumph über Hitler.“

Besonders wichtig: der Ort der Information

Das Mahnmal hat viele Bezeichnungen. Manche sehen in ihm ein abstraktes Kunstwerk, andere einen Steinhaufen. Oder einen großen Friedhof. Manche trauen sich nicht in diese Art Unterwelt, andere ängstigen sich zwischen den hoch aufragenden Betonblöcken. „Aber ein ganz wichtiger Teil ist der Ort der Information“, sagt Uwe Neumärker. Unterhalb des Stelenfelds gelegen, können hier Schüler und Lehrer begreifen, was im 20. Jahrhundert geschah und dass Deutschlands Teilung ein Resultat des Vernichtungskrieges war.

[Jeden Morgen ab 6 Uhr berichten Chefredakteur Lorenz Maroldt und sein Team im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint über Berlins Irren und Wirren. Jetzt kostenlos anmelden: checkpoint.tagesspiegel.de]

Zur Stiftung gehören neben dem Mahnmal für die ermordeten Juden Europas auch der Gedenkort für die Opfer der Euthanasie-Morde direkt neben der Philharmonie, das Denkmal für die von den Nazis verfolgten Homosexuellen im Tiergarten und das Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma – ein Mahnmal direkt neben dem Reichstag, wo jeden Morgen in der Mitte eines kreisrunden Wasserbeckens eine frische Blume liegt.

Vorbereitet wird eine Erinnerungslandschaft für die Verfolgten der europäischen Zeugen Jehovas, gegenüber dem sowjetischen Ehrenmal im Tiergarten.
Das Mahnmal zum Holocaust ist weiterhin geöffnet, aber der Ort der Information ist wegen der Corona-Pandemie noch geschlossen. Ersatz gibt es im Internet, der „Raum der Namen“ lädt zum Besuch ein: holocaust-denkmal-berlin.de/raum-der-namen

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