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Berlin: Humor ist, wenn man trotzdem lacht

Im Roten Salon lasen 30-jährige Autoren Geschichten aus ihrem Leben vor: Es geht um Entlassungen und Begegnungen mit Gott. Hauptsache komisch

Helga Löw hat viel gelacht. „Ich hatte mit 30 Jahren diese Selbstironie nicht“, sagt die 75-Jährige. „Ich hatte auch nicht diese Distanz zu mir und die Selbstsicherheit“. Löw kam mit einer jüngeren Freundin am Samstag in den Roten Salon der Volksbühne. Zur Lesung des aktuellen Kursbuches, einer gesellschaftskritischen Zeitschrift. „Die Dreißigjährigen“ heißt die neueste Ausgabe. Moderator und Herausgeber Tilman Spengler hatte sechs Autoren eingeladen, ihre Texte zu diesem Thema zu lesen. „Denn damit liegen wir gerade im Trend“, fand Spengler.

„In Berlin war die Neue Mitte und wir wollten da ankommen“, begann Stefanie Flamm, die auch für den Tagesspiegel am Sonntag schreibt, einen Text über ihre erste Entlassung bei den Berliner Seiten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Sie schildert, wie sie in dieser großen Zeitung ankam – und wie das Verhältnis zu Ende ging. Flamm beschreibt den schleichenden Anfang vom Ende. Auf dem Flur hörte man auf, sie zu grüßen, aus ihrer materiell gut gesicherten Existenz, die sich nach außen in vielen Restaurant-Besuchen und Taxi-Fahrten symbolisierte, wurde eine bröckelnde Fassade. Als die Berliner Seiten dann eingestellt wurden, sagte man zu Stefanie Flamm: „Sie sind jetzt ein Mythos.“ Mehr nicht. Die Leute im Saal beklatschen die Geschichte wild. Vielleicht, weil sie ähnliche Situationen kennen. Auch Moderator Spengler ist hoch erfreut über diese Resonanz. Von einem dunklen Bild an der Wand schaut Lenin in den überfüllten Saal. In seinem Schatten ist der graue Karl-Marx-Bart zu erkennen. Es sieht aus, als würden sie beide lächeln. Als hätten sie es ja immer gewusst, dass der Erfolg nicht von Dauer sein wird. Dass man schnell auf der Straße sitzen kann. Das Publikum nimmt das nicht leicht: Es weiß, Flamms Geschichte könnte hier jedem passieren.

„Uns ist im Grunde doch alles egal“, beschreibt dagegen Malin Schwerdtfeger ihren Jahrgang in „Wir Nutellakinder“. Nur eins hätten 30-Jährige gemeinsam: Sie wollen nicht erwachsen werden. Was sie damit meint, das erklärt sie nicht. Der Autor David Wagner ist Vater geworden, er fährt jetzt „Kinderwagen, jeden Tag“. Marius Meller, Redakteur beim Tagesspiegel, erzählt wie einer seiner Freunde mal Gott begegnete. Es ist die Geschichte einer langen Psychose. Und auch Kerstin Grethers lebt in einer Krise, seit sie 13 ist. Sie pendelt zwischen „uns komischen Aliens“ und Coverversionen von Nirvana-Songs.

Diese 30-Jährigen da im Roten Salon beobachten nicht andere, sie bespiegeln sich vor allem selbst. Und das so witzig wie es geht. Als ginge es nur darum, möglichst viele Lacher auf seine Seite zu ziehen. Bei Helga Löw zumindest hat’s geklappt.

Kursbuch „Die 30-Jährigen“, Rowohlt-Verlag, zehn Euro .

Maxi Leinkauf

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