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Rote Ruhezone. Neue Bänke und einen durchgängigen Grünzug vom Südkreuz bis zum Park am Gleisdreieck.

© Simulation: Promo

Idee für die Stadtplanung in Berlin: Gneisenaustraße könnte zur Flaniermeile werden

Ein Architekt will die Gneisenaustraße in Kreuzberg in einen Boulevard für ihre Bewohner umwandeln: Waschbeton-Beete: weg! Parkplätze: weg! Gestrüpp: weg!

Als Abwurfplatz für Pizza-Pappen und Abstellplatz für Blechkarossen dient er vor allem, der zugewachsene Mittelstreifen der Gneisenaustraße – und ein mal jährlich als Coaching- und Partyzone zur Anfeuerung der Marathon-Läufer. Ein vernachlässigtes, verlorenes Stück Berlin ist es, das da brach liegt und es schreit danach, wiederentdeckt und zu einer Flaniermeile umgebaut zu werden. Das jedenfalls meint der Architekt Peter Eingartner und legt einen Entwurf für einen neuen Kreuzberger Boulevard vor, der den Südstern mit dem Park am Gleisdreieck verbindet. Eine urbane Zone für Fußgänger zwischen den Fahrspuren könnte dort entstehen, für Boulespieler und Ruhig-Radler, mit Bänken zum Sonnetanken, Grünflächen und kleinen Parkbistros, die aber nicht wie Imbissbuden heute vor Ort im wuchernden Gebüsch hinter ihrer Butze leere Paletten, Verpackungen und Mülltüten stapeln.

Traurig Realität: Gepflegter Beton, wucherndes Unkraut

Noch ist das die traurige Realität mitten in einem von Berlins angesagtesten Kiezen: Ausgerechnet die Parallelstraße zur Café- und Kneipenmeile Bergmannstraße vegetiert vor sich hin. „Die Stellplätze sind dort noch am besten gepflegt“, sagt Eingartner. Kein Wunder, denn die sind mit Steinen versiegelt, da wächst nichts mehr. Und wenn doch, dann wird es platt gefahren. Wo aber kein Beton gegossen ist, wuchert das Unkraut – und nachts tollen dort die Ratten.
Waschbetonsärge aus den 1960er Jahren stehen dort auch zur Abgrenzung von den Fahrbahnen. Früher waren sie mal mal bepflanzt, jetzt bröseln sie vor sich hin. Und im Frühling, wenn halb Kreuzberg Blumenzwiebeln am Fuße der Stadtbäume des Kiezes pflanzt, wagt sich nicht ein Stadtindianer ins Dickicht auf dem Mittelstreifens der Gneisenaustraße.

Herren mit Zylinder grüßten Damen in Spitzenkleidern

Warum Architekt Eingartner diesen „verschenkten Raum wiedergewinnen“ will? Weil sein Büro an der Gneisenaustraße liegt und er täglich dessen Verwahrlosung erfährt, wenn er es ansteuert. Außerdem kennt er die Geschichte der Stadt und bevor diese autogerecht umgebaut wurde, gehörte die Gneisenaustraße zum „Generalzug“, der seinerzeit bis zur Bülowstraße nahe Kurfürstendamm führte. Alte vergilbte Aufnahmen zeigen die prachtvolle Stadtachse, Herren in Zylindern flanieren dort entlang und grüßen galant Damen in Spitzenkleidern.

Kraut und Kram, der verwahrloste Mittelstreifen der Gneisenaustraße
Kraut und Kram, der verwahrloste Mittelstreifen der Gneisenaustraße

© Kai-Uwe Heinrich

„Wir wollen nicht den alten Zustand wiederherstellen“, wehrt Eingartner historische Schwärmer ab. Die Autos würde er aber schon verbannen vom Mittelstreifen. Womit er sich „selbst auch weg plant“, wie er sagt, denn er steuert sein Büro auch mit dem Auto an. Ersatzlos will der Architekt die Stellplätze aber nicht streichen, sondern neue in den Seitenstraßen anlegen. Dort parken die Autos bisher in Längsrichtung. Künftig müssten sie quer zur Straße parken. Das würde auf Kosten der Straßenbreite gehen, was allerdings allenfalls Hardliner im ADAC aufbringen dürfte. Im Kiez dagegen häufen sich die Klagen über Fahrzeuge, die schneller als erlaubt laut über den Asphalt rattern. Schmalere Querstraßen würden den Verkehr an der Stelle entschleunigen.

Mittelpromenade auch in Südeuropa verbreitet

Und was ist mit den Bussen und anderen Abbiegern, die den Mittelstreifen queren müssen? Zebrastreifen könnten dort gemischt genutzte Bereiche schaffen, die von Fußgängern und Fahrzeugen gleichermaßen genutzt werden könnten. Beispiele dafür gibt es im Süden Europas, deren Bewohner nicht minder leidenschaftliche Autonarren sind als hierzulande: „Im italienischen Ancona sind solche Abbiege-Bereiche Teil der Mittelpromenade“, sagt Eingartner. Und er führt auch den Paseo de la Castellana in Madrid als weiteres Beispiel auf für jene, die bezweifeln, dass sich überhaupt jemand auf einem Mittelstreifen zwischen vier Fahrspuren aufhalten möchte. Es komme halt darauf an, den Freiraum abwechslungsreich zu gestalten.

In der Schlossstraße funktioniert das Modell

Ebenso gut wäre die Schlossstraße am Charlottenburger Barockbau zu nennen, die in der warmen Jahreszeit Treffpunkt von Boule-Spieler ist. Auch der Mittelstreifen Unter den Linden könnte man nennen, auch wenn Spaziergänger wegen der ewige Baustellen für U-Bahn und Staatsbibliothek dort zurzeit eine Staublunge riskieren. Abgestimmt hat der Architekt seinen Vorstoß nicht im Bezirk. Bürgerschaftliches Engagement ist es gleichsam und das Ergebnis der vielen Stunden Arbeit im Dienste einer schöneren Stadt sind bei der Vernissage am 8. April um 18.30 Uhr im „Haus1“ am Kreuzberger Waterloo-Ufer zu besichtigen.

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