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Berlin: Im Keller verschwunden

Horst Jähnichen kann sie nicht wiederfinden, seine Zelle. Das erste Mal seit Jahrzehnten hat er das Grundstück des jetzigen Pankower Bezirksamtes wieder betreten.

Horst Jähnichen kann sie nicht wiederfinden, seine Zelle. Das erste Mal seit Jahrzehnten hat er das Grundstück des jetzigen Pankower Bezirksamtes wieder betreten. Im Keller des Hauses Fröbelstraße 3 wurde er 1951 von der Staatssicherheit mehrere Monate gefangen gehalten, bevor er für acht Jahre im Zuchthaus Waldheim verschwand. Der Vorwurf: "Verbreitung tendenziöser Gerüchte, die den Frieden in Deutschland und der Welt gefährden". Er hatte Flugblätter verteilt.

Heute sieht man dem Keller des Gebäudes, in dem sich nun eine Kindertagesstätte befindet, kaum noch an, dass er mal ein Gefängnis war. Er ist fast vollständig umgebaut. Nur einige Lagerräume erinnern in ihrer Größe noch an Gefängniszellen. Gegen das Vergessen steht dank der Initiative einiger Bürger und Politiker des Bezirkes, darunter Marianne Birthler, Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes, und die Pankower Kulturstadträtin Almuth Nehring-Venus, ab sofort eine Gedenktafel vor dem Gebäude an der Prenzlauer Allee und erinnert an die stalinistische Verfolgung und ihre Opfer, die hier gefangen gehalten wurden.

Schon im Herbst 1998 beschloss die Bezirksverordnetenversammlung von Prenzlauer Berg, die Geschichte des Gebäudes weiter zu erforschen und mit einem Denkmal der ehemaligen Häftlinge zu gedenken. Doch alle Akten aus jener Zeit waren spurlos verschwunden. Nur dank der Aussagen von Zeitzeugen ließ sich das damalige Geschehen hier rekonstruieren. "Bislang sind uns 25 ehemalige Häftlinge namentlich bekannt", sagt der Leiter des Pankower Museumsverbundes, Berndt Roder.

Nur so viel steht bislang fest: Im Mai 1945 richtete die sowjetische Kriegskommandantur hier eine Verhör- und Haftstätte ein. Während die Gefangenen im Keller festgehalten wurden, fanden die Verhöre nachts in den Stockwerken darüber statt. Auf der Suche nach so genannten Werwölfen, untergetauchten Nazis, die angeblich gegen die Sieger kämpften, kerkerte die sowjetische Besatzungsmacht zahlreiche Unschuldige ein. Dem sowjetischen Geheimdienst (NKWD) reichte häufig ein allgemeiner Verdacht, um Menschen für unbestimmte Zeit im Keller des Gebäudes festzuhalten.

Neben Jähnichen saß auch der damals 16-jährige Heinz-Joachim Schmidtchen in der Haftanstalt in Prenzlauer Berg. Er wurde zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt, weil er Plakate gegen die Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED klebte. Wie für Schmidtchen und Jähnichen war auch für die meisten anderen Inhaftierten dieses Gefängnis nur der Anfang einer langen Leidensgeschichte. Die meisten wurden nach einigen Monaten in andere Speziallager verlegt. Die Bedingungen in der Haftanstalt waren katastrophal, erzählt Roder. Die Gefangenen litten unter Hunger und Durst. Es gab Karzer und Stehbunker, körperliche Misshandlungen waren an der Tagesordnung. Eine Erschießung auf dem Hof ist ebenso überliefert wie eine geglückte Flucht.

Die Zustände hätten sich erst ein wenig gebessert, als das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) das Gefängnis im Jahr 1950 übernahm, berichtet Jähnichen. Noch mindestens bis 1955 hielt des MfS hier Menschen fest, bevor sie den Gebäudekomplex 1985 an die Bezirksverwaltung übergab. Jähnichen selbst wanderte kurz nach seiner Entlassung im Jahr 1959 nach Westberlin aus, wo er weiter als Sozialdemokrat aktiv war und bis zu seiner Rente als Referatsleiter im Bundesinnenministerium arbeitete.

"In jedem Ost-Berliner Bezirk gibt es wahrscheinlich mehrere solcher Gefängnisse", vermutet Ulrike Poppe, eines der sieben aktiven Mitglieder der Bürgerinitiative. Allein in Köpenick seien vier bekannt. Auch Marianne Birthler vermutet, dass es noch zahlreiche Orte gibt, an denen Menschen bitteres Leid zugefügt wurde. An sie zu erinnern, sei Aufgabe aller. Wie das Denkmal, das die Gedenktafel in naher Zukunft ersetzen soll, einmal aussehen wird, stehe noch nicht fest. Das hänge auch davon ab, wie viel Spendengeld die Bürgerinitiative für das Denkmal sammeln wird.

Annekatrin Looss

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