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Berlin: Im Reservat der Stadtindianer

Von Christian Domnitz und Barbara Junge Vom linken zum rechten Fuß hüpft der Hacki-Sack. Mit der Spitze seiner abgetragenen roten Turnschuhe kickt ihn Michael hoch und fängt ihn geschickt wieder auf.

Von Christian Domnitz

und Barbara Junge

Vom linken zum rechten Fuß hüpft der Hacki-Sack. Mit der Spitze seiner abgetragenen roten Turnschuhe kickt ihn Michael hoch und fängt ihn geschickt wieder auf. Immer wieder schweift der Blick des jungen Mannes auf dem grasbewachsenen Hang über die Weite, hinüber nach Wedding. In der lauen Luft summt er eine leise Melodie, vertieft in sich, sein Spiel und die Abendstimmung. Die braunen verfilzten Zöpfe wippen im Takt mit dem kleinen, mit Sand gefüllten Ball, eingehäkelt in rote, grüne und gelbe Fäden. Selbst der Hacki-Sack trägt im Mauerpark Rastafarben.

Hier treffen sich Menschen, die gern in die untergehende Sonne blinzeln. Der Tag im Mauerpark fängt an, wenn die Sonnenbader gehen. Dann kommen Leute, die Decken und Trommeln mitbringen. Kühltaschen und Jonglierbälle. Es sind viele. Der Tag im Mauerpark ist der Sonnenuntergang. Eigentlich sei der Mauerpark mehr eine Leerfläche als ein Park, sagt David, der auf der Wiese liegt. Und eigentlich sei der Park hässlich. „Aber die Leute kommen trotzdem“, sagt er. Der Mauerpark habe etwas Besonderes, die Stimmung sei einzigartig.

Die Brachfläche zwischen dem Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark in Prenzlauer Berg und Wedding ist eigentlich gar kein Park. Es sieht so aus, als sei hier, zwischen Bernauer Straße und Gleimstraße, die Mauer weggeräumt worden, wonach dann über den Grenzstreifen Gras wuchs. Gut, es gibt neue Gehwege, und ein paar Bäume wurden gepflanzt. Aber ein richtiger Park ist der Mauerpark nicht. Eher eine ausgedehnte Spielwiese. Die meistbesuchte der Stadt.

Am Abend des 30. April, der Walpurgisnacht, war das Spiel irgendwann vorbei – wie schon so manches Mal zuvor im Mauerpark. In Kreuzberg, am Oranienplatz, versammelten sich die Autonomen zur Einstimmung auf den 1. Mai. Aber hier, wo sich trinkfeste Punks und liebestrunkene Trommler treffen, hielt Randale die Polizei stundenlang in den Kampfanzügen. Die Ordnungskräfte in Kreuzberg hatten sich längst zurückgezogen, da brannten im Mauerpark noch Barrikaden, flogen Steine und Flaschen.

Immer wieder, vielleicht ein-, zweimal im Jahr, heißt es: Park gegen Polizei. Einfach nur, weil Rastafaris und Trommler keine Polizisten mögen? „Auf dem Gelände vom Güterbahnhof nebendran liegt viel Holz. Wenn es dunkel wird, dient das einer bestimmten Klientel als Brennmaterial“, versucht sich Polizeihauptkommissar Ralf Doppscher an einer Erklärung. Sein Revier ist der Mauerpark. Die Antwort ist ein wenig dünn, das weiß er selbst. Seine Kollegin Fleur Biedermann springt bei. „Der Alkohol bedingt solche Ausschreitungen“. Dass auch anderswo bei Einbruch der Dunkelheit getrunken wird, wissen die Polizisten, die tagtäglich spähen, ob sich hier was zusammenbraut.

Der Polizeiabschnitt 76 liegt vis-à-vis. Aus den Dienstzimmern an der Eberswalder Straße schauen die Beamten herüber. Der Park sei eigentlich von der Bevölkerung in der Ecke sehr gut angenommen. Mal würden die Trommler ein wenig zu laut. Ein Gespräch aber reiche zumeist, um den paar Anwohnern die Nachtruhe wiederzugeben. Auch mit Drogen, sagen die Ordnungshüter, habe man hier im Gegensatz zu anderen Parks der Stadt keine größeren Probleme. Sie achten drauf. Ein „eventpoint“ sei der Park einfach geworden, schlussfolgert Abschnittsleiter Frank Frederking. Mit gelegentlichen Ausrutschern.

Es wird dunkler. Der Kleinbus des Eisverkäufers fährt knatternd über die holprige Schwedter Straße davon. Ein Mannschaftswagen der Polizei schleicht an der Südseite der Eberswalder heran. Mit gespannten Blicken schauen die Einsatzkräfte herüber. Aber alles ist wie immer. Alles kann ruhig bleiben. Kann.

Es soll hier doch Leute geben, die Drogen verkaufen. Es soll Razzien der Polizei gegeben haben. Doch diese Sicht ist eindimensional. Es gibt andererseits nämlich auch nichts schöneres, als auf dem hohen Westhang des Mauerparks zu sitzen und auf die Flugzeuge zu sehen, die vor der untergehenden Sonne in Tegel starten. Der Mauerpark ist ein letztes Stück übrig gebliebenen Freiraums im privatisierten und sanierten Ostberlin, der letzte Ort, wohin junge Menschen gehen und dort dann tun können, was sie wollen. Im Mauerpark ist kaum jemand über dreißig. Berlin ist groß: Der Park ist anonym genug, um allein zu sein und voll genug, um sich nicht allein zu fühlen.

Die Gemeinschaft, die keine ist, hat ihre eigenen Regeln. „Mit unserem Erscheinen stehen wir für eine Ordnung, die das friedliche Einvernehmen stört“, weiß Polizeichef Frederking. Das sei hier eigentlich gar keine Szene, die die Konfrontation mit der Polizei suche. Aber wenn die Konfrontation mal da ist, dann sei klar, auf wessen Seite sich viele Parkbesucher stellen. Und die anderen, die nichts als ihren Frieden wollen? Die gehen dann lieber.

Es wird nun richtig dunkel. Der interessanteste Moment im Mauerpark ist derjenige, in dem man die Vorbeigehenden und seine Sitznachbarn auf der Wiese nicht mehr erkennt. Wenn man sie nicht mehr einordnen und nicht mehr einschätzen kann.

Die Trommler werden mehr, und zusammen trommeln sie schneller. Bis vier Polizisten kommen, und sie verstummen. Wenn einmal keine Polizei da ist, trommeln sie die ganze Nacht. Und dann brennen im Sand kleine Lagerfeuer wie Sterne.

Manchmal – man weiß nicht so genau wann – mischen sich andere Leute drunter. Die, die von der Polizei sonst eher in Kreuzberg oder in Friedrichshain vermutet werden. „Der Mauerpark ist immer eine Plattform für alle möglichen Leute“, sagt Frederking. Für DJs, die ihren Sound testen. Für den Trommler, wie für den Beseelten, der auf der Schaukel in den Himmel schwingt. Und für Leute, die sich vorgenommen haben, die Polizei aus dem Park zu schlagen. „Und wer uns in eine Konfrontation zwingen will, schafft das auch“, gibt Frederking zu.

So war es auch in der Walpurgisnacht. Ein paar Leute fingen an, vielleicht waren es zehn oder zwanzig, bei der Dunkelheit ließ sich das nicht so genau sehen. Ein paar Scheite mehr ins Feuer. Die Flammen stiegen höher, die Stimmung auch. 50 bis 60 „politisch Motivierte“, meint die Polizei haben mit der Provokation angefangen. Am Schluss standen der Polizei etwa 300 Kämpfer gegenüber und immer noch eine große Menge Publikum. Doch ganz sicher ist sich die Polizei in dieser Schätzung auch nicht.

Der Park, die Brache, die Freifläche, allen Beschreibungen ist hier etwas gemeinsam. Dieses hässliche Stück deutscher Vereinigung bedeutet Freiheit. „Man kann sogar den Sonnenuntergang sehen“, preist Ralf Doppscher sein Einsatzgebiet. „Ja, wir haben hier so ein paar Stadtindianer“, philosophiert sein Chef Frederking. Nicht solche, wie er sie in den 80ern in Kreuzberg erlebt hat, die den Kampf der mittelamerikanischen Guerilla in die deutschen Städte tragen wollten. Nein. „Heute sind hier junge Leute, die haben mit den linken Stadtindianern von einst nichts zu tun. Sie wollen Freiheit und ein Lagerfeuer“. „Und wir sind dann die Cowboys“, sagt Fleur Biedermann trocken. Den Park nennen die Beamten „die Prärie“.

Dieser Abend wäre still geworden, hätte es da nicht die vier Leute mit Posaune, Trompete und Tröte gegeben. Picknick mit Posaune, was hat der Pausbäckige da eben gespielt? Ein Zapfenstreich war es, doch welcher? Der Musiker weiß nicht, wessen Soldaten er eben nach Hause geschickt hat. Andere Versuche auf der Trompete und der Tröte verhallen schnell. Zwei Freunde rezitieren nun Gedichte: „Es lebte hinter eines Baumes Rinde eine Made mit ihrem Kinde.“ In der Ferne spielt jemand auf der Gitarre.

Wenn es so spät ist, dass es schon wieder früh ist, ist es Zeit zu gehen. Mit ihnen geht ein Mädchen, Sophia heißt sie. Sie hatte eine Bratsche bei sich, die sie trotz zweier Bitten nicht spielte. Es ist dunkel, und man erkennt die Menschen nicht mehr. Berlin ist groß, und man sieht sie alle nicht wieder.

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