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Berlin: Im Visier der Fahnder

Spektakuläre Verbrechen: Ein Berliner Kriminalkommissar berichtet, wie die Ermittler untergetauchte Gangster jagten

„Zugriff!“ lautet der Polizei-Code, um einen gesuchten Gangster festzunehmen. „Zugriff!“ nennen der pensionierte Berliner Kriminalhauptkommissar Wilfried Zoppa und Rechtsanwalt und Journalist Wolfgang Schüler auch ihr gemeinsames Buch. Zoppa war jahrelang im Bereich der Personenfahndung der Berliner Kriminalpolizei tätig.

Ein Großteil der dokumentierten Fälle stammt daher aus seiner früheren Praxis. Sie sind detailreich beschrieben und mit Hintergrundinformationen angereichert, wie man sie sonst nur selten erfährt. Sie offenbaren gleichzeitig ein Bild der Polizei im Nachwende-Berlin, das geprägt ist vom Mangel an Personal, Autos, Mangel an fast allem, was die Polizei braucht. Und die von Zoppa erwähnten Kritikpunkte haben sich bis heute nicht wesentlich geändert. Gebessert hat sich inzwischen allerdings das Verhältnis zwischen ehemaligen Volkspolizisten, die in die (West-)Berliner Polizei integriert wurden, und ihren neuen Kollegen.

Wenn Zoppa den Fall des mutmaßlichen S-Bahn-Mörders Hans Müller beschreibt, der unmittelbar nach der Vereinigung 1990 aus der forensischen Psychiatrie des Klinikums Buch in Pankow floh, in der S-Bahn eine junge Frau niedergestochen und schwer verletzt und eine zweite getötet haben soll, dann erfährt der Leser zum einen, aufgrund welcher Fehler in der Psychiatrie die Flucht gelang. Aber zugleich werden organisatorische Missstände der Polizei offengelegt: Sie verzögerten die Fahndung.

Deutlich macht das Buch auch den einstigen Ost-West-Konflikt zwischen scheinbar einfältigen Ost-Polizisten und den überschlauen West-Polizisten. Auf der Suche nach Müller stoßen die Fahnder in Friedrichsfelde auf einen pensionierten einstigen DDR-Abschnittsbevollmächtigten, der sofort die Kriminalbeamten in ihnen erkennt. Woran? „Weil Sie zu zweit sind. Außerdem an der Art, wie Sie sich bewegen und an ihrer bequemen, strapazierfähigen Kleidung. Sie soll Eleganz vortäuschen.“ Nur wenige Seiten weiter zeigt sich dann aus Sicht der Autoren die Überlegenheit westlicher Polizeiausbildung. Die West-Berliner Beamten hatten einen Hinweis, dass sich Müller in der Stadt Brandenburg verstecke. Die den Fahndern genannte Adresse gab es nach Auskunft der dortigen Polizei aber nicht. Dennoch stieß der Westkollege durch einen einzigen Blick auf den Stadtplan auf ein verdächtiges Stadtviertel – und wurde dort tatsächlich fündig. Es ist wie im Film: Zum ersten Mal ist der Ermittler in der Stadt, und schon zeigt der Stadtbulle den Landeiern was ordentliche Polizeiarbeit ist.

Die Beschreibung der Fahndung nach dem Reemtsma-Entführer Thomas Drach, und die in epischer Breite dargestellte Suche nach dem Anfang Dezember 1998 in Bielefeld entflohenen Dieter Zurwehme, der während seiner rund neun Monate dauernden Flucht fünf Menschen tötete, enthalten dagegen nicht mehr Informationen als auch in der Zeitung zu lesen waren. Das trifft auch für die Fahndung nach dem während eines Besuchs bei seiner Mutter in Strausberg (Brandenburg) entflohenen Sexualmörder Frank Schmökel zu. Offenbar lagen den Autoren hier keine dienstinternen Hintergrundinformationen der Kripo vor.

Kritik äußern Zoppa und Schüler am Strafvollzug. Drogenhandel im Knast? Kein Problem. Ein Springmesser ist für 250 Euro zu haben, Pornos und Wodka jeweils 40 Euro. Wer nicht sofort bezahlen kann, bekommt Kredit. Für 100 Prozent Zinsen in 14 Tagen. Wer dann immer noch nicht zahlen könne, werde krankenhausreif geprügelt, schreiben die Autoren – und werfen den Wärtern vor, sie würden eine solche „Disziplinierung“ tolerieren. Werner Schmidt

Zugriff, Wilfried Zoppa / Wolfgang Schüler, Militzke-Verlag, 14,80 Euro.

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