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Berlin: Im Vorortzug an die Front

15. April 1945: Erneute Bombardements britischer Flieger erschüttern die Stadt. Die „Heimatfront“ ist längst zum Hinterland des Kriegsgebietes geworden

Sie kommen Nacht für Nacht. Auch am 15. April 1945 greifen die britischen Bomber wieder an. 200 Flugzeuge fliegen am Abend einen Angriff auf Berlin, dessen Zentrum von den Bombardements der vergangenen Jahre bereits weitgehend zerstört war. 289 Luftangriffe flogen die Alliierten bis zum 20./21. April insgesamt auf die Stadt, davon 29 „Großangriffe“. Auch als in der Nacht vom 15. auf den 16. April an der Oder die Rote Armee ihre „Berliner Operation“ mit einer Artillerievorbereitung ungekannten Ausmaßes beginnt, erleuchten die Brände der von Fliegerbomben getroffenen Häuser den Nachthimmel über Berlin.

Der Luftkrieg hat die Reichshauptstadt und ihre mehr als drei Millionen Bewohner besonders schwer getroffen. War doch Berlin die deutsche Stadt, die die alliierten Bomber am häufigsten und stärksten angriffen. Die Stadt war, im wahrsten Sinne des vom Regime in der zweiten Kriegshälfte geprägten Wortes, „Heimatfront“ geworden. Bis Kriegsende sollen die Alliierten 45 517 Tonnen Bomben über der Stadt abgeworfen haben. Die Angaben schwanken in der Literatur, ebenso wie die Zahl der getöteten Personen. Man kann davon ausgehen, dass etwa 50 000 Berliner durch die Bombardements starben, dazu kommt eine noch schwerer zu bestimmende Zahl von Zwangs-, Fremd- und Vertragsarbeitern.

Die Auswirkungen der dauernden Bombardements beschreibt ein dänischer Journalist in jenen Tagen mit den Worten: „Hier geht eine Weltstadt gerade vor unseren Augen unter“, wie der Autor und Historiker Jörg Friedrich zitiert. Was das für die seelische Verfassung der überlebenden Bewohner bedeutet, beschreibt der Beobachter so: „Der Strom der Empfindungen stockt, weil die Seele ihn nicht behaushalten kann. Sie verkrustet, und diese Partie wird taub. Der Betrieb geht weiter, der nächste Schritt wird getan, ein Bündel geschnürt, gut wäre dazu ein Tuch und ein Karren.“

Die Trennung zwischen der Kampffront an der Oder und der „Heimatfront“ entsprach für die Berliner im Frühjahr 1945 kaum mehr der Realität. Die Stadt war seit Ende Januar das Hinterland der vordersten Front im Osten. Die Soldaten fuhren mit der Vorortbahn in den Schützengraben und, sofern sie ihn bekamen, auf gleichem Wege in den Urlaub.

Die Annahme, dass der Luftkrieg nur gegen militärische Ziele geführt werden würde, hatte sich bereits seit 1940 als Fiktion erwiesen. In Berlin zeigte sich das in der zweiten Kriegshälfte in vollem Ausmaß. Bei den Bombenangriffen auf die Stadt, die bis 1945 Regierungszentrum und wichtiger Industrie- und Verkehrsstandort war, war eine Trennung zwischen militärischen und zivilen Zielen weder beabsichtigt noch möglich. Bei Kriegsende waren 28,5 Quadratkilometer der bebauten Fläche Berlins zerstört. Obwohl kein Teil der Stadt verschont blieb, traf es das Zentrum zwischen Alexanderplatz, Halleschem Tor, Brandenburger Tor und Weidendammer Brücke am stärksten. In der Nacht vom 20./21. April flog die britische Air Force den letzten Angriff auf Berlin. An der Stadtgrenze begannen da bereits die Bodengefechte mit der Roten Armee. Der Übergang vom Luftkrieg zum Schlachtfeld im ureigensten Sinne des Wortes war nahtlos.

Richard Lakowski

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