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Abdul Adhim Kamouss, Imam in Berlin, predigt für Toleranz.

© Paul Zinken/dpa

Kolumne: Der Himmel über Berlin: Imam Kamouss: "Fanatismus ist die Handbremse der Muslime"

Weil Gott die Menschen unterschiedlich erschaffen hat, müssen sie tolerant sein, sagt der Imam - der selbst umstritten ist. Ein Besuch beim Freitagsgebet in Wedding.

Immer noch kommen Männer durch die Tür an der Seite und suchen einen Platz auf dem rot-blau-weiß gemusterten Teppich. Haben sie ihn gefunden, verrichten sie das Gebet und nehmen die entsprechenden Haltungen ein: stehen, Arme verschränken, verbeugen, stehen, knien, die Stirn auf den Boden legen, knien, stehen. Von draußen dringt Gelächter in die Al-Bilal-Moschee in der Drontheimer Straße – einer Gegend, in der sich noch nicht rumgesprochen hat, dass der Wedding angeblich kommt.

In dem schlauchförmigen Gebetsraum ist es still, obwohl sich jetzt schon mehrere hundert Männer eingefunden haben, die meisten zwischen 25 und 40; die Frauen beten hinter einer Trennwand.

Der Moscheevorstand ist unruhig, so unruhig, dass er seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. „Sagen Sie mal, wer sind eigentlich diese Leute, die da gestern festgenommen wurden wegen diesen Anschlagsplänen?“, fragt er flüsternd den Tagesspiegel-Reporter. Er vermutet offenbar, dass die am Tag zuvor vereitelten Anschlagspläne am Checkpoint Charlie der Grund für das Interesse an den Muslimen sind – tatsächlich ist das Timing Zufall, der Besuch war ohnehin geplant.

Zufall ist auch, dass an diesem Freitag Abdul Adhim Kamouss die Predigt hält – der Imam, der im September 2014 mit einem Auftritt in Günther Jauchs Talkshow deutschlandweit als „Quassel-Imam“ (Bild-Zeitung) bekannt wurde. Seit diesem Auftritt darf er nicht mehr in der als radikal geltenden Neuköllner Al-Nur-Moschee predigen. Er unterstellte Angela Merkel Doppelmoral, weil sie ohne Empathie für Opfer in Gaza nur Israel in Schutz nehme. Verfassungsschützer halten ihn für einen Vertreter der ultrakonservativen Strömung des Salafismus, was er jedoch bestreitet. Sein Thema an diesem Freitag: Fanatismus unter Muslimen.

"Die Methodik von Mohammed war die Toleranz"

„Haltet euch allesamt an Gottes Band fest, zersplittert euch nicht, und gedenkt der Gnade, die Gott euch erwiesen hat!“, heißt es in der Koransure 3, die Kamouss zu Beginn rezitiert. Die Muslime, schließt er daraus, dürften einander nicht bekämpfen wie die „Völker und Nationen vor ihnen“, die „Kriege wegen Kleinigkeiten“ geführt hätten. Selbst zu Lebzeiten Mohammeds habe es Streit gegeben, nach dessen Tod erst recht. Dabei habe Mohammed die Menschen aufgefordert, nach seinem Vorbild zu leben, „und seine Methodik war die der Toleranz“.

Allah habe die Menschen nunmal unterschiedlich erschaffen, daher sei es normal, dass sie unterschiedlicher Meinung seien, zumal niemand die absolute Wahrheit kenne – außer Allah, natürlich.

Der neue europäische Fanatismus: Feindschaft gegen Religionen

Fanatismus verfange besonders bei Ungebildeten – auch Christen hätten einander im Dreißigjährigen Krieg bekämpft. „Europa ist damit aber fertig. Mit der Aufklärung kam Vernunft, Menschlichkeit, Toleranz.“ Nur habe das in Europa zu neuem Fanatismus geführt: zur „Feindschaft gegen alle Religionen“. „Dennoch“, ruft Kamouss, „wir Muslime sind die Unwissendsten der Welt!“ Die problematische islamische Geschichte werde in arabischen Ländern totgeschwiegen. „Darum töten wir einander in Syrien und im Irak.“ Fanatismus sei die „Handbremse“ der muslimischen Gemeinschaft.

„Lass die Muslime in diesem Land ein Vorbild und eine Bereicherung sein“, betet Kamouss zum Abschluss.

„Wir leben in Deutschland“, sagt der Moscheevorstand, daher gebe es ja auch den Deutschsprachigen Muslimkreis. Dann blickt er auf die Uhr. „Schon wieder eine Stunde. Jedes Mal sagen wir Abdul Adhim, eine halbe Stunde reicht. Jedes Mal spricht er eine Stunde lang.“

Ein Quassel-Imam eben.

Berlin hat sich zu einer multireligiösen Stadt entwickelt mit mehr als 250 Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Deshalb öffnen wir unsere Gottesdienst-Kolumne nun ab und zu für andere Religionen außer dem Christentum. Sie hat deshalb auch einen neuen Namen.

Redaktioneller Hinweis: Ursprünglich war die Rede vom Vorsitzenden des Deutschsprachigen Muslimkreis - stattdessen handelte es sich um den Vorsitzenden von Islami Tahrik und somit des Moscheevorstands. Vorsitzende des Deutschsprachigen Muslimkreises ist Iman Andrea Reimann, die in diesem Text nicht vorkommt.

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