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Adel berichtet (6): Immer schneller

Stefan Stuckmann zeichnet auf, wie unser Redaktionspraktikant Cedric zu Guttenberg die Stadt erlebt.

Zwei Monate lang wollte kein Kollege mit mir eine Fahrgemeinschaft gründen. Doch kaum fällt die U2 aus, kann ich mich vor Anfragen kaum noch retten! Ressortleiter überlassen mir den letzten Rucolasalat in der Kantine, nur um die brachliegenden Streckenabschnitte nicht mit ihrem alten Fahrrad oder ihrer Frau überbrücken zu müssen. Und trotzdem: Schaue ich morgens, wenn ich im Auto mein Lachsbrötchen kaue, in glückliche Gesichter? Natürlich nicht. Statt sich über die Sitzheizung zu freuen, lästern die Kollegen über die BVG. Dabei ist der zweiwöchige Ausfall der U2 im Osten das Beste, was der Stadt passieren kann. Seien wir ehrlich: Die jahrzehntelangen Bemühungen im Bereich Bus und Schiene kaschieren nur die Versäumnisse in der Förderung des automobilen Individualverkehrs. Eine Schwäche, die kaum auffällt, wenn die Bevölkerung mehrheitlich aus prekären Gruppen besteht, denen selbst kleine VW-Händler statt der Tabelle mit den Leasingraten nur den Weg zur nächsten Bushaltestelle zeigen. Sieht so nachhaltige Verkehrspolitik aus? In den Mietspiegeln der Stadt deutet sich eine rosige Zukunft an, Eliten entwickeln sich prächtig – gerade vor diesem Hintergrund ist der öffentliche Nahverkehr ein Konzept von vorgestern.

Mit meinem Segway-Roller fahre ich später zum Alexanderplatz und warte an der Ampel, bis ein belegtes Taxi anhält. Ich öffne die Tür, setze mich dazu und zeige meinen Journalistenausweis. Nein, ich will keine Rabatte. Nur reden. Fahrgast Klaus ist Außendienstmitarbeiter bei einem Industrieunternehmen. Bevor er in seinem Loft in Charlottenburg das Wochenende genießt, will er kurz in seinen drei Ferienwohnungen in Mitte nach dem Rechten sehen. Normalerweise würde er mit der U2 fahren, heute muss er ein Taxi nehmen. Das Absurde: Eigentlich würde Klaus gern immer mit dem Taxi fahren oder gleich mit seinem SUV. Allein, es lohnt sich nicht. Jahrzehnte fehlgeleiteter Verkehrspolitik haben Berlin in eine Situation gebracht, in der es auf den meisten Strecken schneller ist, einen Bus oder eine U-Bahn zu nehmen. Aber wer schafft nun den größeren Mehrwert? Die Kunsttherapeutin, die auf ihren gebrauchten Rollschuhen zur S-Bahn fährt? Oder Klaus, der allein mit seinem Trinkgeld mehr Geld in den Standort pumpt als andere mit einer Tageskarte?

Als Klaus mich am Ku’damm absetzt, fange ich an zu rechnen: 280 Millionen Euro bekommt die BVG jedes Jahr an Zuschüssen. Dafür könnte man 30 Kilometer Autobahn bauen – alle zwölf Monate!

Hochachtungsvoll,

Ihr

Cedric

Stefan Stuckmann

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