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Berlin: Immun gegen das Recht

Diplomat soll Angestellte wie eine Sklavin gehalten haben

Ein paar T-Shirts, eine Hose, Unterwäsche. Ihre Sachen passen in einen kleinen Beutel. Nicht einmal einen Ausweis hat sie – ihre Papiere musste sie ihrem Dienstherrn geben –, und auch kein Geld. Es regnet und ist kalt, als Esmeralda Enobio im Oktober 2001 aus dem Haus eines saudi-arabischen Diplomaten flieht. Drei Monate hat die Filipina dort gearbeitet, sieben Tage die Woche, 18 Stunden am Tag. All die Zeit über hielt ihr Arbeitgeber sie gefangen, doch am Abend des 24. Oktober vergisst er, die Tür abzuschließen, und Esmeralda nutzt die Chance. Wie eine Katze, sagt die 38-Jährige, sei sie aus dem Haus geschlichen.

Sich wie eine Katze zu bewegen – das hat Esmeralda beim Karate gelernt. Als Jugendliche trainierte sie heimlich, wollte Soldatin werden. Es kam anders. Sie heiratete, brachte drei Töchter zur Welt. Aber ihr Mann und sie verdienten nicht genug, um die Mädchen durchzubringen. Als das jüngste zwei Jahre alt war, ging Esmeralda als Putzfrau nach Hongkong, nach Riad, nach Taiwan. Philippinische Hausangestellte sind beliebt, gelten als fleißig und genügsam. Von den 1700 Angestellten in deutschen Diplomatenhäusern kommen 80 Prozent von den Philippinen.

Den Lohn schickte Esmeralda immer nach Hause, für die Ausbildung der Mädchen. Aber als sie nach Deutschland ging, wartete die Familie vergeblich auf Geld. Esmeraldas neuer Dienstherr zahlte nichts, obwohl sich seine Gattin und seine Kinder rund um die Uhr bedienen ließen. Aus Schikane musste Esmeralda antreten, um ein fallen gelassenes Bonbonpapier aufzuheben, oder nachts um halb eins ein Haar aus der Dusche zu fischen.

Aber Esmeralda begehrte nicht auf, nicht gegen die Demütigungen, nicht gegen ihre Essensration von einem Päckchen Nudeln am Tag. Ihr Lohn wurde dringend zu Hause gebraucht. Erst als sie in einem Brief ihres Mannes erfuhr, dass die Überweisungen ausgeblieben waren, floh sie aus der sklavischen Gefangenschaft. Eine Wiedergutmachung wird sie jedoch schwer erstreiten können, denn Diplomaten genießen Immunität. Schon im Mai 2001 kritisierte der Europarat den Widerspruch zwischen dieser Straffreiheit und der Europäischen Menschenrechtskonvention, die allen Menschen Zugang zur Justiz garantieren soll. Bei Esmeralda ist der Fall noch vertrackter. Ihr Arbeitgeber hat für sie nur ein Touristenvisum beantragt, so dass sie, ohne es zu wissen, illegal nach Deutschland eingereist ist. So verlor sie, wenige Wochen nach ihrer Flucht, wieder ihre Freiheit: In der Ausländerbehörde, wo sie um Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung bat, wurde sie festgenommen und dann ins Abschiebegefängnis Neuss gebracht. Einen Monat später hob das Landgericht Bonn die Entscheidung wieder auf. Esmeralda durfte zurück zu ihrer Bekannten aus der christlichen Gemeinde, bei der sie nach ihrer Flucht untergeschlüpft war.

Seitdem kämpft sie um ihr Recht, wütend erst, dann immer verzweifelter. Die kleine rundliche Frau leidet an Brech- und Schwindelanfällen. Ihre Gesichtszüge sind erstarrt. Als sie von ihrer Familie erzählt, die sie seit drei Jahren nicht gesehen hat, fängt sie an, lautlos zu weinen. Ihre Bekannte macht sich große Sorgen. „Esmeralda ist eine Kämpferin“, sagt sie. Aber inzwischen ziehe sie sich immer mehr zurück, sitzt in ihrem Zimmer, in dem es außer ein paar Lockenwicklern und einer Handcreme nichts Persönliches gibt.

Derweil prüft die Staatsanwaltschaft Bonn Esmeraldas Vorwürfe, die Ergebnisse werden an das Auswärtige Amt geschickt. Der Beschuldigte, der alle Vorwürfe abstreitet, hat einen Anwalt eingeschaltet. Das ist ungewöhnlich. Sonst vertrauen Diplomaten auf ihre Immunität, sagt Oberstaatsanwalt Andreas Schütz. Mit dem Bericht, so hoffen Esmeralda und ihre Anwältin, werde das Auswärtige Amt Druck auf die Vertretung Saudi-Arabiens ausüben. Für den Diplomaten könnte das bedeuten, dass er als persona non grata auf einen anderen Posten wechseln muss. Aber Esmeralda geht es vor allem um ihren Lohn. Ihre Anwältin stellt Lohnnachforderungen von 13000 Euro, errechnet nach Esmeraldas Arbeitsstunden und den Mindestsätzen einer deutschen Putzfrau. Am 19. Mai muss Esmeralda zurück auf die Philippinen. Sie will nicht mit leeren Händen kommen. „Ihre Familie bittet ständig um Geld“, sagt ihre Bekannte. „Nach einem Telefongespräch mit ihr weint Esmeralda stundenlang.“

Frauke Herweg

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