zum Hauptinhalt

In OMAS ZEITung (15): Bunte Strümpfe

Dorothea Spannagel war Lokalreporterin im Berlin der 50er Jahre. Ihr Enkel Lars entdeckt ihre Texte neu. Diemal: Oma Thea plädiert dafür, zwei verschiedene Strümpfe tragen zu dürfen.

1952 gibt es noch keine Fashion Week in Berlin. Gedanken über Mode macht sich die Stadt natürlich trotzdem, allen voran meine Oma Thea. In der Ausgabe der „Neuen Zeitung“ vom 1. Februar spricht sie beherzt und ohne Scheu ein Thema an, das vielen Leidensgenossinnen bestimmt schon seit Langem auf der Seele brennt: „Warum können die Frauen nicht am rechten Bein einen dunkelbraunen und am linken einen beigefarbenen Strumpf tragen? Oder einen hell- und einen dunkelgrauen oder auch einen weißen und einen schwarzen?“

Die Angelegenheit scheint meiner Oma wirklich am Herzen zu liegen. Ich tippe auf eine persönliche Vorgeschichte: Womöglich ist sie von Kollegen gepiesackt worden, weil sie eines Morgens mit zwei verschiedenen Strümpfen in der Redaktion der „Neuen Zeitung“ am Breitenbachplatz erschienen ist. Journalisten können recht gehässig sein und sollen mitunter einen fragwürdigen Sinn für Humor haben. Jetzt schlägt meine Großmutter publizistisch zurück. Das Ziel ihrer 37 Zeilen langen Streitschrift ist unmissverständlich: „Der leidige Kummer mit den Strümpfen, dem selbst Nylons und Perlons nicht den Garaus machen konnten, muss aufhören!“

"Welche Frau liebt nicht die Abwechslung – selbst in der Strumpffarbe?"

Ihre Argumentation ist so geradlinig wie schlüssig. Was soll eine Frau tun, wenn sie ein Loch in einem Strumpf entdeckt, aber kein zweites sauberes Paar zur Hand hat? Das fragt meine Oma ihre Leserinnen und erklärt das Dilemma im Detail. „Gewiss kann man, so man Geld hat, gleich zwei paar gleichfarbige Strümpfe kaufen und kommt dann – vielleicht – besser hin“, schreibt sie. „Aber wer hat Geld, und welche Frau liebt nicht die Abwechslung – selbst in der Strumpffarbe?“ Das Problem ist alltäglich, ihr Lösungsvorschlag aber ist revolutionär. Meine Oma schreibt von der „Rettung, verschiedenfarbige Strümpfe zur modischen Neuheit zu erklären“. Nur die gesellschaftliche Akzeptanz fehle noch, um diesen Fortschritt durchzusetzen. „Keiner würde mehr lächeln – höchstens mit Wohlwollen – wenn die Mode diese Idee kreiert hätte“, insistiert meine Großmutter.

In Sachen Mode war sie sicher keine Vorreiterin. Auf Fotos trägt sie meist schlichte Blusen oder Pullover. Einmal hat sie meinem Vater allerdings ein bizarres Kleidungsstück geschenkt, eine Art dreieckige Fliege. Sie fand das modern, mein Bruder und ich machten Witze darüber, mein Vater ließ das Ding in den Tiefen des Kleiderschranks verschwinden. Vielleicht war das Geschenk eine Reminiszenz an ihre Strumpf-Idee, die sich leider nicht durchgesetzt hat.

„Wenn hübsche Beine in den Strümpfen stecken, kann doch keine Farbe stören“, schließt meine Oma ihr Pamphlet. Im Gegenteil, man könne sogar die Natur korrigieren, indem man das vielleicht ein paar Millimeter dickere Bein in einen dunkleren Strumpf steckt, schreibt sie. „Es gehört nur ein bisschen Mut dazu.“

Diese Kolumne ist gedruckt in der Tagesspiegel-Samstagsbeilage Mehr Berlin erschienen. Alle Folgen finden Sie unter diesem Link.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false