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In OMAS ZEITung (37): Kinderwünsche

Dorothea Spannagel war Lokalreporterin im Berlin der 50er Jahre. Ihr Enkel Lars entdeckt ihre Texte neu. Oma Thea will wissen, was der Weihnachtsmann bringen soll.

Das Experiment funktioniert sofort. Alle Hände schießen in die Luft, genau wie vor 64 Jahren. Im Dezember 1951 besucht meine Oma Thea die 12. West-Berliner Volksschule, um die Kinder für einen Artikel in der „Neuen Zeitung“ nach ihren größten Weihnachtswünschen zu fragen. Im Dezember 2015 stehe ich in einem Klassenzimmer der Charlottenburger Nehring-Grundschule, mit derselben schlichten, universellen, zeitlosen Frage: Was wünscht ihr euch?

Bei meiner Oma ist es ein Junge namens Klaus, der sich als Erster meldet und alle übertönt: „Ich hab’ einen ganz großen Wunsch – eine Kokosnuss!“ Meine Oma fragt, ob das schon alles sei. „Nischt weiter“, antwortet Klaus. „Die Kokosnuss aber für mich ganz allein.“ Seine Klassenkameraden interessieren sich eher für Puppen, Spielzeugautos oder Eisenbahnen. Als ein Mädchen die Möglichkeit eines Goldhamsters erwähnt, wollen fünf andere Kinder Wellensittiche haben. Ein eigenes Fahrrad ist „die Sehnsucht der halben Klasse“.

„Mutti soll gesund werden“

Meine Großmutter ist begeistert davon, wie fröhlich und hoffnungsvoll die Schüler wirken. „Es sind alles eben noch richtige Kinder, kein bisschen angekränkelt vom allgemeinen Kummer der Erwachsenen“, schreibt sie. Völlig sorgenfrei sind aber auch die Kinder nicht. „Mutti soll gesund werden“, wünscht sich ein Mädchen. Und ein Junge namens Peter, der offenbar in einem Flüchtlingslager lebt, möchte bescheiden „eine lange Hose“ geschenkt bekommen. Als meine Oma gerade gehen will, kommt Peter noch einmal zu ihr und flüstert: „Eigentlich ein Fahrrad.“

In der Charlottenburger Klasse, die ich besuche, muss sich kein Kind lange Hosen wünschen. Die Schüler und Schülerinnen träumen aber auch nicht von großen Reichtümern, sondern eher von kleinen Schätzen. Viele wollen Sticker-Alben für Aufkleber, ein Mädchen wünscht sich ein Playmobil-Auto, ein Junge ein Skateboard. Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern scheinen hier wesentlich größer als bei der Stichprobe meiner Oma, bei der Jungs wie Mädchen fast gleichermaßen an Puppen und Autos interessiert waren. In meiner jahrgangsübergreifenden 1. und 2. Klasse wünschen sich mehrere Mädchen Schminke, viele Jungs hoffen auf Fußballtrikots von Robert Lewandowski, Marco Reus oder Manuel Neuer. Ein Junge schwärmt für Robin van Persie – und wirft sich gleich bäuchlings auf den Boden, um das Flugkopfballtor des Niederländers bei der WM 2014 gegen Spanien detailgetreu nachzustellen.

„Als Ergebnis meiner Rundfrage in der 12. Volksschule notiere ich für den Weihnachtsmann: Besorge Fahrräder, Fahrräder, Fahrräder!“, schreibt meine Oma. „Kleider und Süßigkeiten werden als selbstverständlich erwartet.“ Dem möchte ich hinzufügen: Mit Fußballtrikots und Sticker-Alben, lieber Weihnachtsmann, liegst du in diesem Jahr bestimmt nicht falsch.

Diese Kolumne ist gedruckt in der Tagesspiegel-Samstagsbeilage Mehr Berlin erschienen. Alle Folgen finden Sie unter diesem Link.

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