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In OMAS ZEITung (9): Buttermilch

Dorothea Spannagel war Lokalreporterin im Berlin der 50er Jahre. Ihr Enkel Lars entdeckt ihre Texte neu. Diesmal: Oma Thea deckt auf - Die Buttermilchpreise wurden klammheimlich erhöht.

Es gibt bestimmte Themen, die im Journalismus schon immer funktioniert haben und auch bis in alle Ewigkeit funktionieren werden. Sex and Crime gehören genauso dazu wie Katastrophen aller Art. Am zuverlässigsten werden aber Artikel gelesen, die den Leser an seiner sensibelsten Stelle berühren: seinem Geldbeutel. Insofern ist es ein ordentlicher Aufreger, den meine Oma Thea am 1. Juni 1954 für die „Neue Zeitung“ aufschreibt. „In die Freude über die Vollmilchpreisermäßigung (statt 41 Pfennig 40 Pfennig pro Liter), die von heute an gilt, ist ein saurer Tropfen gefallen“, heißt es in ihrem Artikel. „Buttermilch wird am gleichen Tage, also heute, teurer.“

Auch neun Jahre nach Kriegsende ist von freier Marktwirtschaft in West-Berlin noch nicht allzu viel zu spüren. Die Läden können die Preise nicht bei allen Produkten individuell bestimmen. Der Vollmilchpreis etwa wird zentral festgelegt – bei Buttermilch ist das anders. „Bekanntlich ist Buttermilch im Gegensatz zur Vollmilch nicht preisgebunden“, erklärt meine Oma ihren Lesern. „Das heißt, das Preisamt kann höchstens prüfen, ob der Preis angemessen ist.“ Die habgierigen Buttermilchgroßhändler aber verlangen wegen gestiegener Buttermilchabfüllungskosten mehr von den Buttermilcheinzelhändlern, die die Buttermilchpreissteigerung natürlich direkt an die Buttermilchkunden weiterreichen.

„Also darf der Verbraucher den ersparten Vollmilch-Pfennig nicht etwa in den Strumpf stecken, sondern er muss ihn – sofern er Buttermilchtrinker ist – beim Buttermilchkauf draufzahlen“, schreibt meine Großmutter einigermaßen empört. Zumal der Preis Anfang Juni steigt, also parallel zum voraussichtlichen Anstieg der Temperaturen. „Im Sommer ist Buttermilch als billiges und bekömmliches Getränk stark nachgefragt“, berichtet meine Oma. In diesem Sinne scheinen die Grundsätze der Marktwirtschaft – Angebot, Nachfrage undsoweiter – schon bestens zu funktionieren.

Der Artikel ist ein schönes Stück Verbraucherjournalismus auf knappen 57 Zeilen. Die entscheidende Frage – was kostet jetzt eigentlich Buttermilch tatsächlich? – kann aber auch ihr Artikel nicht beantworten. „Das war gestern noch nicht einheitlich festzustellen“, schreibt meine Großmutter. „Einige Händler sprachen von 25 Pfennig bei loser Buttermilch, andere von 26 Pfennig.“ Meine Oma lässt die Leser der „Neuen Zeitung“ spüren, dass sie sich für sie und ihre Geldbeutel eingesetzt hat. „Dies alles erfährt die Presse nach stundenlangen Anrufen – die Chefs der befragten Stellen waren gestern unentwegt in Buttermilch-Konferenzen und nicht zu erreichen“, schreibt sie. Die Preisermäßigung für Vollmilch hingegen sei natürlich auf einer Pressekonferenz Tage zuvor bekannt gegeben worden, „dabei fiel kein Sterbenswörtchen von einer Verteuerung der Buttermilch“.

Eine Frechheit! Ein Skandal! Ein Verbrechen! Sex and Crime and Buttermilch!

Diese Kolumne ist gedruckt in der Tagesspiegel-Samstagsbeilage Mehr Berlin erschienen. Alle Folgen finden Sie unter diesem Link.

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