zum Hauptinhalt

Berlin: Internatsgymnasium Scharfenberg: Nur noch zum Lernen auf die Insel

Ungeduldig wippt Katharina Klaußner von einem Fuß zum anderen. Die Jungs aus der siebten Klasse kommen nur im Schneckentempo mit dem Ruderboot herübergefahren, und sie ist schon spät dran.

Ungeduldig wippt Katharina Klaußner von einem Fuß zum anderen. Die Jungs aus der siebten Klasse kommen nur im Schneckentempo mit dem Ruderboot herübergefahren, und sie ist schon spät dran. "Nun macht mal!" feuert sie die Mitschüler an, die in ihrer großen Pause den Ruderdienst übernommen haben. In ihren Sandaletten, den lackierten Nägeln und der babyrosa Tasche sieht sie nicht gerade nach jeder naturverbundenen Schülerin aus, die man auf dem Internatsgymnasium Scharfenberg vermutet. 22 Hektar Wald und Feld, dazwischen eine Hand voll Häuser und Ställe, das erwartet Jugendliche, wenn Sie sich für ein Lernen in Berlins einziger staatlicher Internatsschule entscheiden.

Katharina hat diese Entscheidung nie bereut. Fünf Jahre wohnte und lernte sie auf der Insel im Tegeler See, bis ihren Eltern im letzen Jahr das Schulgeld von 806,70 Mark zuviel wurde. Seitdem besucht sie nur noch tagsüber die Schule. "Ich wäre gerne auf Scharfenberg wohnen geblieben", seufzt die 18-Jährige, die im nächsten Jahr Abitur macht. So wie ihr geht es vielen, die ihre halbe Schulzeit im Internat verbracht haben. Anfang Juli sitzen noch etliche Abiturienten, die schon längst hätten das Weite suchen können, vor ihren Häusern oder räumen gemächlich ihre Zimmer. So auch die 20-jährige Martina aus Friedrichshain. In dem Zimmer, das sie sich jahrelang mit einer Freundin geteilt hat, sieht es trist aus. Keine Bilder verzieren mehr die verkritzelten Wände, der Teppich ist draußen und nur zwei Matratzen und ein Schreibtisch zeugen noch von der einstigen Nutzung des Raumes. Selbstständiger sei sie hier geworden, meint die junge Frau und auch selbstbewusster. "Im Internat kann man Konflikten mit Mitschülern nicht aus dem Weg gehen." Das findet sie gut.

Für den kommissarischen Direktor der Schule, Martin Eckervogt, sind solche Sätze Balsam für die Seele. Trotz der maroden Bausubstanz aus den 50er Jahren und dem oft recht kärglichen Essen fühlt sich ein Großteil der 75 Internatsschüler wohl auf der Insel. Doch immer mehr Eltern schreckt der Zustand, in dem sich die Schule befindet, ab. Statt langer Wartelisten, wie es noch vor rund 20 Jahren üblich war, herrscht jetzt ein Mangel an Anmeldungen. "Wir könnten für das kommende Schuljahr noch 30 Internatsschüler aufnehmen", so Eckervogt. Rund 15 Millionen Mark würde die Sanierung der von bröckelndem Putz und fehlender Farbe geprägten Gebäude kosten. Die jedoch hat das Land Berlin als Träger nicht. Angesichts der denkmalgeschützen Häuser und den hohen Umweltauflagen auf der Insel haben selbst private Investoren das Interesse an der Immobilie verloren. Eckervogt sieht denn auch als einzigen Ausweg aus der Misere, mehr externe Schüler aufzunehmen und aus Scharfenberg eine Art Ganztagsschule zu machen.

An jenen, die nur tagsüber auf die Schule kommen, mangelt es nämlich nicht. Sie machen mittlerweile mit 125 Jugendlichen den Großteil aller Schüler aus. Ab Herbst soll sogar noch eine dritte siebte Klasse eingerichtet werden. Mit dieser neuen Dreizügigkeit verabschiedet sich die Schule dann endgültig von dem Anspruch, eine reine Internatsschule zu sein, in der Leben und Lernen eng miteinander verknüpft sind. Genau dies aber war einst der Kerngedanke des Schulgründers Wilhelm Blume. Kinder sollten nicht nur mit dem Kopf lernen, sondern auch durch praktisches Arbeiten, so der Reformpädagoge, der 1922 das gymnasiale Schulprojekt ins Leben rief.

Christine Berger

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false