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Kahl-Passoth

© Uwe Steinert

Interview: "Sarrazin hat davon überhaupt keine Ahnung"

Warum Susanne Kahl-Passoth, die Direktorin des Diakonischen Werks, dem SPD-Politiker Sarrazin immer wieder öffentlich widerspricht.

Immer wenn Finanzsenator Thilo Sarrazin sich über Hartz-IV-Empfänger auslässt, erheben Sie Ihre Stimme. Warum?

Sarrazins Äußerungen richten sich gegen Menschen und sind oft sehr verletzend. Da muss man einfach Einspruch erheben, wenn jemand so etwas sagt, der überhaupt keine Ahnung hat. Sarrazin will ja auch nicht nur provozieren. Vielmehr zeigt er seine tiefste Überzeugung. In der Politik passiert es ja ganz schnell, dass man den Blick für die Realität verliert. Wir haben Sarrazin deswegen schon ein Praktikum angeboten. Aber das hat er leider nicht angenommen.

Was könnte der Finanzsenator denn bei Ihnen machen und lernen?

Er könnte vielleicht mal in die Altenpflege und sehen, welche schwere Arbeit dort geleistet wird. Oder da er ein Problem mit Sozialarbeitern hat, wäre es nicht schlecht, wenn er Einblick in die Wohnungslosenhilfe bekommt, und erfährt, wie das ist, mit wohnungslosen, alkoholkranken Menschen zu arbeiten. Was die reinen Berliner Haushaltszahlen angeht, ist Sarrazin bestimmt kein schlechter Finanzsenator. Aber von den anderen Dingen versteht er nichts. Wenn man nie in verschiedene Gegenden der Stadt kommt, erfährt man manches einfach nicht. Dann sieht man nur die heile geordnete Welt, die man sehen möchte.

Der Senat besteht nicht nur aus Sarrazin …

Gott sei Dank!

Sehen Sie diese Einstellung auch im Gesamtsenat?

Nein, auf gar keinen Fall. Bei der Sozial- oder Bildungsverwaltung etwa gibt es großes Engagement. Allerdings scheitern auch diese immer wieder am Finanzsenator.

Sie haben den Senat schwer gescholten, als die Hilfen zur Erziehung gekürzt wurden.

Die ganzen Kürzungen im Bereich Jugendhilfe werden uns heftig auf die Füße fallen. Wir reden immer von Prävention. Aber die kostet Geld.Wenn die Maßnahmen wegen des Sparzwangs so schlecht sind und nicht greifen können, dann werden die Folgen für die Gesellschaft viel teurer. Wenn etwa Jugendliche im Knast landen, weil man sie nicht erreichen konnte. Das ist ohnehin ein Problem der Politik, dass sie manchmal nicht langfristig denkt. Ein anderes Beispiel: Zurzeit gibt es in diesem Land keine Altersarmut. Es pfeifen aber die Spatzen von den Dächern, dass das wieder ein Problem werden wird.

Wann wird sich das auswirken?

In zehn bis 15 Jahren werden wir es merken. Wenn Leute lange arbeitslos sind, dann kommt später nur Grundsicherung heraus. Das ist dann so viel wie bei Hartz IV. Ähnliches gilt für Menschen, die in prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten. Wer nur 7,50 Euro verdient, hat auch im Alter nicht viel. Darüber muss man reden.

Der Berliner Wirtschaft geht es in den letzten beiden Jahren besser. Merken Sie das im sozialen Bereich?

Überhaupt nicht. Viele von denen, die schon lange Zeit arbeitslos sind, sind oft nur schlecht oder gar nicht ausgebildet. Für die ist es ganz schwer, vor allem wenn dazu noch Mehrfachhandicaps hinzukommen. Alleinerziehende oder Behinderte haben auch jetzt kaum Chancen.

Die Zahl der Hartz-IV-Empfänger ist auch nicht annähernd so weit gesunken wie die der Arbeitslosen.

Man muss sich doch einmal die Zahlen genau anschauen. Ein-Euro-Jobber etwa werden nicht als Arbeitslose gezählt. Es ist durchaus nicht so, dass wir aufatmen können

Die Diakonie fordert seit langem, dass der Hartz-IV-Satz angehoben wird. Was halten Sie für angemessen?

Auf Dauer kann man von dem Grundbetrag von 351 Euro nicht leben. Man muss sich nur allein die Teuerungsrate anschauen. Am gesellschaftlichen Leben kann man eigentlich nicht teilnehmen, auch wenn ein bestimmter Betrag dafür vorgesehen ist. Nehmen Sie den Anteil für die Nutzung von Verkehrsmitteln. 19 Euro sind dafür veranschlagt, aber das Sozialticket kostet schon über 30 Euro.

Gibt es denn genügend soziales Engagement in der Stadt?

Es tut sich hier viel in der Ehrenamtlichenbewegung. Es gibt eine große Bereitschaft, sich einzubringen. Wir haben beispielsweise ein neues Projekt, das Känguru-Projekt, diakonische Nachbarschaftshilfe in den ersten Monaten nach der Geburt eines Kindes. In dem Bereich haben wir bereits 50 Ehrenamtliche, dabei hat das Projekt erst im November begonnen.

Ist das nicht ein Weg, den die Gesellschaft verstärkt gehen muss, wenn der Staat nicht mehr bereit ist, für alles zu zahlen?

Bestimmte Aufgaben müssen einfach professionell erledigt werden. Aber auch wo ehrenamtlich gearbeitet wird, fallen Kosten an. Man braucht jemanden, der Projekte koordiniert. Fortbildungen müssen angeboten werden. Ehrenamtliche sollen keine Unkosten haben. Dabei lassen sich schon viele nicht einmal mehr die Fahrtkosten erstatten. Aber manche Menschen sind darauf angewiesen. Das Geld muss man sich irgendwo zusammenbetteln. Es wäre schon wünschenswert, dass der Staat das Ehrenamt stärker unterstützt. Viele Sponsoren fördern außerdem lieber Sport oder Kultur, da würde ich mir mehr Engagement im sozialen Bereich wünschen.

Gehen Sie dafür Klinkenputzen?

Etwas anderes bleibt einem da nicht.

Die Fragen stellte Sigrid Kneist.

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