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Berlin: Jahrgangsstufe Null

Vor 14 Jahren startete der Modellversuch Europaschule. Jetzt haben die ersten Schüler Abitur gemacht

Sie war fünf und sie weigerte sich hartnäckig: „Ich will nicht in die Schule, da sprechen doch alle nur Französisch“, quengelte Henrike, als sie in die Schmargendorfer Judith-Kerr-Grundschule gehen sollte. Heute ist Henrike Konietzka 19 Jahre alt, spricht akzentfreies Französisch und hält seit gestern ihr deutsch-französisches Abitur in den Händen. Damit gehört sie zu den insgesamt 38 Abiturienten, die jetzt ihren zweisprachigen Abschluss an einer Europaschule absolvierten.

Der Schulversuch „Staatliche Europaschule Berlin“ (SESB) startete 1992 unter dem damaligen Schulsenator Jürgen Klemann (CDU). Unumstritten war das Projekt nicht. Die Grünen beispielsweise lehnten diese „Eliteschulen“ im neuen Gewand zunächst ab, lenkten aber ein, als sie sahen, dass die Schulen auch von Gastarbeiterfamilien, Multi-Kulti-Paaren und den Kindern von Alliiertenfamilien begeistert aufgenommen wurden. Inzwischen machen 29 Schulen mit 5400 Schülern mit. In den bilingualen Klassen sollen zu gleichen Teilen deutsche Schüler sowie Schüler der jeweiligen Partnersprache lernen. Um den Grundschülern die Zweisprachigkeit zu erleichtern, erhalten sie nachmittags bis 16 Uhr eine Betreuung durch zweisprachige Erzieher. Der Unterricht wird teils in Deutsch, teils in der anderen Sprache erteilt. Bis heute steht das Projekt Europaschule deutschlandweit alleine da.

Für Henrike war besonders Geschichte interessant: „Weil wir hier die deutsche und französische Geschichte gleichwertig behandelt haben.“ Über den Unterricht hinaus sollen sich die Europa-Schüler auch durch Austauschprogramme mit der Kultur des jeweiligen Landes vertraut machen. „Ich habe hier viel mehr über die französische Kultur gelernt als an einer normalen Schule“, sagt Henrike, für die Weltläufigkeit in ihrem Wunschberuf „Hotel- und Gastronomiemanagement“ nicht unwichtig ist.

Auch Bildungssenator Klaus Böger (SPD) würdigte gestern das Reformprojekt seines „Vorvorgängers“ Klemann, indem er den ersten Abiturjahrgang der Europaschulen empfing und die Erwartung äußerte, dass die Absolventen zu „weltoffenen Menschen herangewachsen sind“. Allerdings haben die Europaschulen mit Einsparungen zu rechnen. Bereits in diesem Schuljahr wurden die Vorklassen abgeschafft, in denen die Kinder auf die Bilingualität vorbereitet wurden. Mit dem Schuljahr 2007/08 soll aus Kostengründen die Zahl der Erzieherstellen verringert werden. „Die Folge ist, dass keine oder nur eine geringe pädagogische Arbeit stattfinden kann“, befürchtet Christian Grosch, Elternsprecher der Finow- Grundschule. Er und seine Mitstreiter haben durch erste Proteste bisher zumindest erreicht, dass die Kürzungen noch nicht im Schuljahr 2006/07 einsetzen. Vielleicht bekommen die Eltern bald auch Unterstützung von den Konsulaten der Partnerstaaten, die das Modellprojekt von Anfang an gefördert haben.

Lisa Garn

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