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Berlin: Jerusalem – Urbild der Zerrissenheit Zum Israelsonntag in der Kirche „Zur Frohen Botschaft“

Über fast menschenleere Straßen läuten am Sonntag die Glocken der evangelischen Kirche „Zur Frohen Botschaft“. So heißt die 1910 geweihte Kirche in Karlshorst seit 1956.

Über fast menschenleere Straßen läuten am Sonntag die Glocken der evangelischen Kirche „Zur Frohen Botschaft“. So heißt die 1910 geweihte Kirche in Karlshorst seit 1956. Da gab es für die Gemeinde die frohe Botschaft, dass sie ihr Gotteshaus wieder nutzen darf. Das war ihr seit dem Tag der deutschen Kapitulation am 8. Mai 1945 verwehrt gewesen: Die sowjetische Militäradministration hatte sich das Villenviertel zum Sitz erkoren, die Kirche mittendrin nutzten die Russen als Lagerhaus und Pferdestall.

Das ist Vergangenheit. Vorn an der Treskowallee, die nach dem adligen Landrat heißt, der 1905 der Gemeinde das Kirchengrundstück schenkte, ist die Neuzeit mit Sexshop und griechischem Lokal eingezogen, und rings um die „Frohe Botschaft“ lassen renovierte Villen hoffen, dass das „Dahlem des Ostens“ wieder aufersteht. So wurde Karlshorst vor dem Krieg genannt.

Der verschonte dort weitgehend die Häuser und auch die Kirche, in der gestern gut drei Dutzend Gottesdienstbesucher vom Kleinkind bis zur Greisin Oskar Kruppka zuhörten. Wie kann Frieden werden?, fragte der Pfarrer im Ruhestand. Keine ganz neue Frage, aber aktuell wie eh und je. Anlass war diesmal der so genannte Israelsonntag, den die evangelische Kirche am zehnten Sonntag nach Trinitatis feiert – in der Vergangenheit auch schon mal mit erhobenem Zeigefinger und antijüdischem Akzent: „Wenn Ihr Euch als christliche Kirche nicht zu Gott bekennt, dann geht es Euch wie den Juden, die 70 n.Chr. ihren Tempel und die Stadt Jerusalem verloren haben.“

„Vor Gott haben Christen und Juden einen gemeinsamen Platz“, sagte gestern der Pfarrer. Nicht hintereinander, sondern nebeneinander. Gnadenloses Leid in Jerusalem ahne man hinter den knappen Worten, mit denen der Evangelist Lukas die Belagerung und Zerstörung der Stadt schilderte, von deren Tempel nur die Mauer übrig blieb. Bis heute ist die Klagemauer die wichtigste Gebetsstätte der Juden, die bis 1945 keine eigene Heimstatt mehr auf dieser Erde hatten.

Jerusalem ist das Symbol aller zerstörten Städte, sagte der Pastor. Auch ein Urbild der Zerrissenheit der Welt sei es, in der man nach Frieden schreit und diesen mit Füßen tritt – auf beiden Seiten. Wichtig sei es, den Dialog zu entwickeln, eine Tempelaustreibung könne sich niemand mehr leisten. Es gehe um die Bereitschaft, sich in Frage stellen zu lassen. „Wo Gott erfleht wird, ist der Geist des Friedens“, so gestern die frohe Botschaft, „dies ist der hoffnungsvollste Weg aller Kirchen und Religionen.“

Heidemarie Mazuhn

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