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Dan Lahav leitet das Theater "Größenwahn" in Berlin-Charlottenburg

© Mike Wolff

Jüdischer Intendant Dan Lahav: Der Lauf des Lebens

Die Mutter von Theaterintendant Dan Lahav war Sportlerin – das rettete ihr als Jüdin in der NS-Zeit möglicherweise das Leben.

„Mama, hattest du keine Angst vor den Nazis?“ Der kleine Junge schaut hinauf zur Mutter, die den Kopf schüttelt und sagt:. „Dan, ich kann doch rennen!“ Dan Lahav, der Sohn der Läuferin, geboren ein Jahr nach Kriegsende, war ein neugieriges Kind. Heute ist er Intendant des Jüdischen Theaters „Größenwahn“, das seit Kurzem in Charlottenburg beheimatet ist. Lahav sitzt im Sakko und gepunktetem Hemd auf dem weißen Ledersofa im Foyer. Sein Blick verliert sich, als er leise von der Vergangenheit spricht, von seiner Mutter Jeannette Feuer, die so schnell rennen konnte – früher, als sie noch in Deutschland lebte. Heute laufen hier wieder jüdische Sportler um die Wette, die Makkabiade im Olympiapark, die am Dienstagabend endete, macht es möglich. Jeannette Feuer kann sich nicht mehr darüber freuen, sie ist 2009 gestorben.

Auf dem Glastisch vor Dan Lahav liegt ein gerahmtes Bild seiner Mutter. Der 69-Jährige präsentierte das Foto schon zur Ausstellung „Jüdische Stars im deutschen Sport“. Bis zum 16. August wird vor dem Hauptbahnhof an deutsche Sportler jüdischen Glaubens erinnert – auch an Dan Lahavs Mutter. Es ist ihm wichtig, ihre Geschichte zu erzählen.

Familie Feuer lebte vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Hamburg. 1930 gewann Jeannette Feuer als Jugendliche den ersten Platz im 100-Meter-Lauf der Gaumeisterschaft, des größten regionalen Sportwettbewerbs der Stadt Hamburg. Sie lief für den jüdischen Turnverein Bar Kochba, der später Teil des Turn- und Sportverbandes Makkabi wurde. 1932 formierten sich aus dem Verein die ersten Maccabi Games in Tel Aviv. „Wie wichtig ihr Sieg tatsächlich sein würde, konnte damals niemand wissen“, sagt Lahav. Für seine Mutter sollte die Gaumeisterschaft aber das letzte Sportereignis sein, an dem sie teilnimmt.

„Ich wollte etwas für die jüdische Kultur tun“

Als die Verfolgung der Juden 1933 auch in Hamburg einsetzt, Läden geplündert und zerstört werden, flieht Familie Feuer ins belgische Liège. Nur Jeannette, die Läuferin, bleibt und stellt sich an einem Junitag – adrette Bobfrisur, höfliche Stimme – bei einem Beamten des Staatsrats vor. Sie erhoffte sich, bis zur Staatsprüfung als Schneiderin in Hamburg bleiben zu dürfen. Die Bitte wird abgeschmettert, doch Lahavs Mutter hatte Glück. „Der Mann war Sportfan und erkannte sie.“ Er riet ihr, sich noch am selben Tag in den Zug zu setzen und ihren Eltern nach Belgien zu folgen. „Er organisierte meiner Mutter sogar noch das Ausreise-Zertifikat, damit sie nach Palästina gehen konnte.“ Seine Mutter, erzählt Lahav, glaubte auch später fest daran, dass es die Gaumeister-Medaille war, die ihr das Leben gerettet hatte.

Ihre vier Geschwister, die Onkel und Tanten, die Lahav nie kennenlernte, wurden Opfer des Holocaust. Als seine Mutter schon in Tel Aviv lebte und keinen Sport mehr trieb, weil sie Geld verdienen musste, wurde der Rest der Familie von Belgien aus nach Auschwitz deportiert.

Vor 38 Jahren ist Dan Lahav samt Frau und zwei Söhnen zurückgekehrt in das Heimatland seiner Familie, in das Land, das seine Mutter vertrieb und die anderen umbrachte. „Ich wollte etwas für die jüdische Kultur tun“, begründet er den Schritt. Denn seine Mutter war nicht nur leidenschaftliche Läuferin, sie machte ihn auch mit der deutsch-jüdischen Kultur vertraut. „Die Werke Kurt Tucholskys, Heinrich Heines und die Musik Felix Mendelssohn Bartholdys, damit bin ich aufgewachsen“, sagt Lahav. Und so wurde aus ihm zwar kein Sportler, aber ein leidenschaftlicher Kulturschaffender.

Nach seinen Engagements als Regisseur an kleineren deutschen und israelischen Bühnen, leitete Lahav drei Jahre lang die Jüdischen Kulturtage in Berlin, gründete den „Berliner literarischen Salon“ neu und rief 2001 das Jüdische Theater Berlin ins Leben. In dem Stück „Shalom Salam“, das Lahav im November mit Jugendlichen auf die Bühne bringen möchte, geht es um Antisemitismus, um Pegida und Hass gegen Muslime. „Hauptsache, wir können damit junge Leute berühren – damit sich Schicksale wie das meiner Familie nie mehr wiederholen.“

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