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Berlin: Kampf um den neuen Osten in Prenzlauer Berg

Werner Schulz (Grüne) und Sandra Brunner (PDS) im Gespräch über die schwierige Profilsuche der Sozialisten, deren Zukunftsaussichten und den Ostal-Gysi-Effekt

Herr Schulz, den Bundestagswahlkampf im Wahlkreis in Pankow haben Sie noch gegen Ihre PDS–Gegenkandidatin Sandra Brunner geführt. Jetzt machen Sie ihr Komplimente und beschreiben sie als „frisch, frei und frech“. Sandra Brunner ist nur leider in der falschen Partei oder?

SCHULZ: Ich bin kein Anhänger der Theorie, dass alle interessanten Leute in der falschen Partei sind. Das ist kein Abwerbungsversuch. Wir haben uns erst während des Wahlkampfs kennen gelernt. Und da musste ich feststellen, dass sie überhaupt nicht das PDS-Klischee erfüllt. Sie artikuliert sich frei, unorthodox, ist forsch. Das hat mir gefallen.

Frau Brunner, das ist doch sehr ehrenhaft. Wären Sie bei den Grünen gelandet, wenn Sie im Westen aufgewachsen wären?

BRUNNER: Puuhhh, das ist eine schwere Frage. Wenn ich zurückblicke würde ich sagen: vielleicht. Nach meiner derzeitigen politischen Positionierung würde ich sagen: Nein. Ich habe mich damals bewusst wegen der Friedensfrage für die PDS entschieden.

Die Grünen haben in Prenzlauer Berg so gut abgeschnitten wie nirgendwo sonst in Berlin. Wie erklären Sie sich das?

BRUNNER: Das liegt an dem veränderten Wahlverhalten. Der Bezirk gilt ja als Vertreter des ,Neuen Ostens’. Es gab viele Zuzüge aus den alten Bundesländern. Ein Stück weit gleicht sich in dem Bezirk Ost- und Westdeutschland an. Die Zeiten, wo man PDS gewählt hat als symbolisches Zeichen gegen die „westdeutsche Übernahme“ und die Diskreditierung von ostdeutschen Lebensleistungen sind zunehmend vorbei. Außerdem konnte die PDS ihren ,Gebrauchswert’ nicht erklären. Das hatte nichts mit mir, sondern mit den Defiziten der Partei zu tun.

Herr Schulz, sagen Sie uns als ehemaliger Bürgerrechtler, ob Deutschland die PDS braucht.

SCHULZ: Eher nicht. Die PDS hatte aber eine wichtige Funktion erfüllt. Durch ihre bloße Präsenz im Bundestag hat sie auf das Ost-Thema hingewiesen. Und die PDS hat den DDR-Eliten den Weg ins vereinigte Deutschland erleichtert. Die PDS war wie eine etwas zu groß geratene Selbsttherapiegruppe. ,Ostal-Gysi’ aber greift nicht mehr. Ost-West-Ressentiments sind außerdem sehr gefährlich geworden. Die ganzen PDS-Formeln sind überholt. Die Entzauberung funktioniert ja jetzt, indem man die PDS in die Macht mit einbindet. Berlin, Mecklenburg-Vorpommern: Die PDS ist in ihrer Alltagsarbeit weit genug von ihren Versprechungen entfernt…

BRUNNER: Ich gebe Ihnen Recht, dass wir als Koalitionspartner noch kein eigenständiges Profil haben. Warum die PDS bisher erfolgreich war, hat auch damit zu tun, dass sich SPD und Grüne am herrschenden Diskurs beteiligt und ostdeutsche Lebensleistungen in Frage gestellt haben. Die Wahlen haben für die PDS eine wichtige Auseinandersetzung in Gang gesetzt, ob wir uns darauf beschränken, eine reine Ost- und Protestpartei zu sein. Meiner Meinung nach muss sich die PDS weiterentwickeln. Alles andere ist zum Scheitern verurteilt.

SCHULZ: Ich stamme aus der DDR und habe mich an den Verhältnissen gerieben. Wir teilen uns insofern eine gemeinsame Heimat. Im Wahlkampf habe ich viele junge Leute getroffen, die von der politischen Generation der 89er wissen wollen, warum das System DDR zusammengebrochen ist, weil deren Eltern die DDR noch immer verklärt sehen. Das Nicht-Austragen von Vergangenheit ist auch in der PDS immer noch verbreitet. Warum hat sie bis heute nicht über den Afghanistan-Krieg von 1980 bis 1989 diskutiert und sich positioniert?

BRUNNER: Die PDS behauptet von sich, eine Friedenspartei zu sein, ist aber bisher eine Antwort schuldig geblieben, wie man zivile Konfliktlösungen umsetzt. Wir haben bisher schöne Etiketten beschlossen. Da ist die Debatte bei den Grünen qualifizierter, nur das Ergebnis würde ich nicht teilen.

SCHULZ: Wir sind einen Schritt weiter. Frau Brunner, was uns unterscheidet sind die politischen Kulturen. Wie alt waren Sie 1989?

BRUNNER: 14 Jahre alt.

SCHULZ: Ihre Generation hatte damals noch keinen Widerspruch zur DDR.

BRUNNER: Ich hatte ein dumpfes Gefühl, dass der Fisch vom Kopf her stinkt.

SCHULZ: Ich war 1964 vierzehn. Da hatte ich durch den Mauerbau schon mitbekommen, dass etwas nicht stimmt, wenn sich ein Staat einriegelt und den Leuten den Zugang ver wehrt. 1968 nach dem Prager Frühling hatte ich dann die Hoffnung auf einen demokratischen Sozialismus begraben.

Die Diskussion um solche Begriffe wird gerade in der PDS geführt. Kurz vor dem Bundesparteitag steht zu befürchten, dass die Erneuerer in der PDS scheitern. Was machen Sie dann?

BRUNNER: Die Frage, ob die PDS endgültig scheitert, ist noch nicht entschieden. Ob in Gera eine vernünftige Debatte geführt wird, wird sich zeigen. Wir haben viele Imagefelder, aber Etiketten halten nicht viel. Die Formel „Wir sind gesellschaftliche Opposition“ hat Petra Pau zu Recht als „Beruhigungspille“ bezeichnet. Wir müssen uns den Realitäten stellen. Gut möglich, dass wir daran scheitern. Es wird ein harter Kampf.

SCHULZ: Solange die PDS den Begriff demokratischer Sozialismus nicht geklärt hat, hat die Partei keine Inhalte. Rot-rote Koalitionen bergen deshalb auch keine Gefahren: Das sind reine sozialdemokratische Familien.

BRUNNER: Manche PDS-Mitglieder fordern, die rot-roten Koalitionen zu beenden. Das ist Blödsinn. Das würde der Partei auch noch den letzten bundespolitischen Einfluss rauben. Und sich als Opposition in der Koalition aufzuführen, ist auch nicht überzeugend. Was wir uns fragen müssen ist: Wie und womit machen wir Politik? Wir haben keine Projekte, mit denen wir identifiziert werden. Bisher verwalten wir nur. Ein Berliner Reformprojekt könnte die Umgestaltung der Wissenschaftslandschaft sein. Aber wie? Eine Antwort haben auch wir bisher nicht entwickelt. Die aktuelle Debatte ist derzeit defensiv. Was wir brauchen sind Konzepte, was wir zum Beispiel mit den Universitätsklinika machen. Wie können wir in Zusammenarbeit mit den Ressorts Wirtschaft und Arbeit nicht nur nach dem Gießkannenprinzip fördern, sondern zum Beispiel schwerpunktmäßig Biotechnologie fördern?

Hatten Sie das alles nicht von Ex-Wirtschaftssenator Gregor Gysi erwartet?

BRUNNER: Mit Sicherheit.

SCHULZ: Gysi ist ein hervorragender politischer Entertainer, aber ein miserabler Politiker. Ein Politiker ist sich seiner Verantwortung bewusst. Der ist Gysi immer ausgewichen. Gysi hat große Worte gesprochen. Er hat die Latte auf fünf Meter gelegt und ist auf dem Bauch durchgekrochen.

BRUNNER: Gysi hatte es geschafft, das politische Defizit der PDS zu überdecken. Ich bin froh, dass das jetzt aufhört. Ich gehöre zu den jungen Leuten, die den Schritt nach vorn machen wollen.

SCHULZ: Was machen dann solche politisch orientierten Leute wie Sie, wenn die PDS keine Perspektive mehr bietet?

BRUNNER: Diese Frage ist noch nicht entschieden. Und es stellt sich für mich nicht die Frage, ob ich den Grünen oder der SPD beitreten soll. Wenn die Erneuerung der PDS scheitert, würde ich mich lieber anderweitig engagieren als in einer Splittergruppe Ton angebend zu sein .

Das Gespräch moderierten Sabine Beikler und Matthias Meisner.

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