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Berlin: Katja Ebstein: Unterwegs, zurück nach Berlin

Katja Ebstein ist ein ernster Mensch. Das ist ihr auf den ersten Blick nicht anzumerken.

Katja Ebstein ist ein ernster Mensch. Das ist ihr auf den ersten Blick nicht anzumerken. Wenn sie ihren breiten Mund zu einem Lächeln verzieht, und sich die grünen Augen zu Schlitzen verengen, täuscht das über ihren Ernst hinweg. Auch wenn sie lebhaft gestikuliert oder eine Berliner Göre gibt, wirkt sie fröhlich. Wie also soll man erkennen, wie ernst sie wirklich ist? Am Montagabend war Premiere ihres Programms "Berlin, trotz und alledem" im Kabarett-Theater Wühlmäuse: Das, was sie als "Abdruck ihrer Seele" bezeichnet, war schwere Kost.

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Viele der vorwiegend älteren Leute im Publikum hatten die Schlager-Katja-Ebstein sehen wollen, die vor mehr als 30 Jahren mit "Wunder gibt es immer wieder" vor allem Heiterkeit und leichte Kost verbreitet hatte. Heiter wurde es an diesem Abend aber nicht. Eben weil Katja Ebstein ein ernster Mensch ist und die Gelegenheit nutzte, das, was ihr am Herzen liegt, mit lauter Stimme vorzutragen: Sie sprach "wider das Vergessen" über alte und neue Nazis und über Fremdenfeindlichkeit.Sie sang Chansons mit tragisch gehauchtem Ende und rezitierte Texte von Kurt Tucholsky, Wolf Biermann oder Otto Breuer. Beeindruckt, aber auch niedergedrückt, spendeten die Zuschauer immer traurigeren Beifall. Katja Ebstein präsentiert sich mit diesem Programm als eine höchst politisch engagierte Person.

Am Tag nach der Premiere sitzt sie im Foyer der Wühlmäuse und freut sich über ein Lob von Johannes Rau. Der Bundespräsident hatte am Vorabend im Rang gesessen. Während sie gestenreich erzählt, hockt Katja Ebstein auf ihrem Barhocker wie eine grazile Katze, ein mageres, unruhiges Tierchen, dem man besänftigend das Haar streicheln möchte. Rot ist es immer schon gewesen, mal heller, mal dunkler. Auch der Stirnpony, Grand Prix Anno 1970, ist noch da: "Mit richtigen Frisuren sehe ich einfach zickig aus". Heute hat sich die 56-Jährige Pipi-Langstrumpf-Zöpfe geflochten. Eine Kind-Frau, immer noch.

Warum das Programm "Berlin, trotz und alledem" heißt? "Weil ich die Stadt liebe, trotz alledem, was die Menschen Berlin angetan haben", sagt sie. Allein, dass Nazis durchs Brandenburger Tor marschieren durften... Da kann sie ihre Empörung gar nicht bändigen. "Und der Berliner Senat hat es nicht verhindert." So etwas dreht sich ununterbrochen in ihrem Kopf. "Ich neige eben zum Weltschmerz", sagt sie.

Politisches Bewusstsein, sagt Katja Ebstein, habe sie schon immer gehabt. Man könnte sagen, es sei frühkindlich geprägt, seit Baby-Katja 1945, zwei Monate nach ihrer Geburt, von der Mutter aus der Heimat - Girlachsdorf bei Breslau - nach Berlin getragen wurde und dort im Kreis einer politisch interessierten Familie heranwuchs. Noch heißt das Mädchen mit Nachnamen Witkiewicz. In einer kleinen Wohnung in der Reinickendorfer Epensteinstraße lebt die schlesische Familie - der Straßenname wird später herhalten müssen, um der jungen Sängerin einen Künstlernamen zu geben.

Apropos Sängerin. Das wollte Katja Ebstein zuerst gar nicht sein, da rutschte sie so herein. Nur aus Spaß sang sie einst mit einer Freundin auf dem Kreuzberger Bildermarkt. Lieber wäre sie Archäologin geworden. Bis heute liebt sie historische Romane und Museen. Viele Nächte diskutierte sie über Politik in der Paris Bar oder im Café am Steinplatz. Dort lernte sie durch Rudi Dutschke den Marxismus kennen. Bis heute sieht sie sich als "radikale Demokratin" und ist bei Demonstrationen gegen Fremdenfeindlichkeit dabei.

Katja Ebstein zwischen Massenunterhaltung und Marxismus. Wo liegt da die echte Katja? In der Alles-ist-gut-Schlagerwelt habe sie sich nie so richtig zu Hause gefühlt, beteuert die ehemalige Schlagersängerin heute. Trotz der dritten Plätze beim Grand Prix 1970 mit "Wunder gibt es immer wieder" und 1971 mit dem Umweltsong "Diese Welt". Trotz der Grand-Prix-"Silbermedaille" 1980 mit "Theater". Ihre "Industriezeit" nennt sie diese Jahre. "Nach vier Jahren hatte ich keinen Spaß mehr."

Da begann sie, nebenbei auf der Bühne Heinrich Heine zu rezitieren, spielte am Hamburger Ernst-Deutsch-Theater und übernahm viele Musical-Rollen. Eine langsame Entwicklung hin zu ihrem aktuellen, individuellen Bühnenprogramm, für das sie sechs Monate lang historische Quellen gewälzt hat.

Dieses Programm ist nicht nur für die Künstlerin Katja Ebstein wichtig, sondern auch für sie als Berlinerin. Es scheint als betrachtete sie die den Erfolg der Show als Indikator dafür, wie warm die Berliner ihre "verlorene Tochter" wieder aufnehmen. Denn im nächsten Jahr wollen sie und ihr zweiter Mann, der Theaterregisseur Klaus Überall, nach 32 Jahren im süddeutschen Exil wieder zurückkommen. Vielleicht nach Pankow. Es ist Zeit für etwas Neues. "In Berlin bekomme ich mal wieder mehr künstlerische Reibung". Was sie so sehr liebt an der Stadt, das kann sie gar nicht so genau in Worte fassen. "Es ist einfach ein bestimmtes Sein, das ich nur hier finde." Sie ist eben ein ernster Mensch.

"Berlin, trotz und alledem" noch heute, morgen und übermorgen.

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