zum Hauptinhalt

Berlin: Katrin Bendrich (Geb. 1971)

„Ich fand’s absurd, aber ich hab’s halt gemacht“

Von Barbara Nolte

Was nimmt man denn da so mit in ein Hospiz?“, fragte Katrin Bendrich beiläufig bei unserem vorletzten Treffen.

Sie saß in ihrem Wohnzimmer auf dem Fußboden. Die Fensterbänke waren voll gestellt mit Blumensträußen. „Diese ganzen Abschiedszeremonien … “

Katrin Bendrich hatte wieder Haare auf dem Kopf, rotbraun und kurz. Sie waren nachgewachsen, seit ihre letzte Chemotherapie abgesetzt worden war, weil sie sich als unwirksam erwiesen hatte. Ihr Zwillingsbruder war vorübergehend bei ihr eingezogen. An diesem Sonnabend Anfang November kontrollierte er noch, ob die Morphium-Rationen für das gesamte Wochenende reichen würden. Dann brach er auf zur Arbeit.

„Schon absurd“, sagte Katrin Bendrich, „vor einem Jahr, am 28. Oktober, bin ich zum ersten Mal ins Krankenhaus gekommen.“ Damals war ihr die rechte Brust abgenommen worden. Anschließend galt sie als geheilt. „Jetzt, genau am 28. Oktober, wurde mir gesagt, dass ich austherapiert bin.“ Austherapiert – ein anderes Wort für unheilbar.

Im Frühjahr hatte sich herausgestellt, dass der Krebs in alle Segmente der Leber gestreut hatte und damit inoperabel war. Damals sagte sie: „Ich sehe es nicht ein, mir vom Krebs mein restliches Leben bestimmen zu lassen.“ Andererseits machte sie den Krebs zu ihrem Thema. Die Krankheit habe ihr den Blick geschärft, sagte sie. Aus ihrem Alltag gefallen zu sein, finde sie sogar gut. Vielleicht auch deshalb, weil sie mit dem Schreiben ernst machte. Das hatte sie schon immer gern getan, sich aber nie genug Zeit dafür genommen. Im Sommer wurden Kurzgeschichten von ihr in einem Sammelband veröffentlicht. Auszüge ihres Tagebuches erschienen auf der Internetseite des Tagesspiegels.

Katrin Bendrich hatte Fleischerin gelernt. Das war noch in der DDR. Sie hätte gerne studiert. Doch obwohl sie gut in der Schule war, bekam sie keinen Platz an der Oberschule. Eine Erklärung gab es nicht. Sie vermutete, dass es daran gelegen haben könnte, dass ihr Vater freiberuflicher Zauberkünstler war. Doch der Vater hatte zu der Zeit die Familie längst verlassen. Ihre Mutter hatte die Lehrstelle zur Fleischerin aufgetan. „Ich fand’s absurd“, sagte Katrin Bendrich, „aber ich hab’s halt gemacht.“ Die Mutter hatte ihr auch, kaum volljährig, eine kleine Wohnung besorgt. „Ich war noch gar nicht so weit, dass ich ausziehen wollte.“

Nach der Wende verkaufte Katrin Bendrich Schuhe und Versicherungen. Sie kellnerte, unter anderem in der Kneipe des Boxers Rocchigiani „Rocky’s Inn“. „Ich habe mich nie groß verwirklichen können“, sagte sie. In einem Fernstudium bildete sie sich zur Gesundheitstherapeutin weiter, eröffnete eine Praxis. Sie war mittlerweile Mutter von zwei Töchtern, alleinerziehend, was sich mit der aufreibenden Selbstständigkeit nicht vertrug. Über einen Ein-Euro-Job geriet sie in die Altenpflege. Den standardisierten Umgang mit den Dementen fand sie so empörend, dass sie ihre Erlebnisse aufschrieb. Das wurde ihr erstes Buch.

Freunde beschreiben Katrin Bendrich als couragiert, eigenwillig, lebenshungrig. Gerade nach der Brust-Operation aus dem Krankenhaus entlassen, bestellte sie einen bereits abgelegten Liebhaber ein – als Experiment, ob man für guten Sex zwei Brüste braucht. Die Szene beschrieb sie in ihrem Tagebuch.

Bendrich ging mit ihrer Krankheit unerschrocken und pragmatisch um. Sie habe schon wegen ihrer Töchter, 17 und 12, schnell eine Haltung dazu finden müssen, sagte sie. Ihre Tatkraft ging so weit, dass sie, nachdem keine Hoffnung mehr auf Heilung bestand, ihren Tod plante. Eine Woche war die Diagnose auf Lebermetastasen alt, als sie bei Hospizen anrief und sich dort auf die Warteliste setzen ließ. Was auf sie zukomme, sagte sie, sei nicht zu vermeiden. Also wolle sie es gestalten. Im Internet fand sie einen Friedwald im Norden Berlins. Mit einer Freundin unternahm sie einen Ausflug dorthin. „Es war ein schöner Tag.“

Man traf sie im Grunde immer gut gelaunt an. Einmal, im Sommer, hatte sie gerade das Badezimmer grün gestrichen. „Warum tust du das?“, fragte ihre ältere Tochter. „Weil’s mir so besser gefällt“, antwortete sie. Außerdem verschrieb sie sich das Renovieren zur körperlichen Ertüchtigung. Da fiel es ihr schon nicht mehr leicht, einen Eimer Farbe vom Baumarkt nach Hause zu schleppen. Immer wieder arbeitete sie an Überraschungskisten für ihre Töchter. Nach ihrem Tod sollte jede eine bekommen, darin Erinnerungsstücke und ein Buch mit Geschichten aus der Kindheit.

Dass sich der Krebs so schnell ausbreiten würde, kam für ihre Freunde unerwartet. Und die Ärzte hielten sich bedeckt. Mit ihrem Bruder war sie im Oktober zur Onkologin gegangen, um anhand ihrer Blutwerte die weitere Behandlung abzustimmen. Stattdessen hörte sie von der Ärztin den Satz: Bei den Werten sei klar, wohin das führe.

Katrin Bedrich war erst perplex, später verärgert über die mangelnde Herzlichkeit der Ärztin. Beim Treffen im November stand sie bereits auf der Dringlichkeitsliste des Hospizes. „Ich kann mir noch gar nicht vorstellen, wie ich hier aus meiner Wohnung zum letzten Mal rausgehe“, sagte sie. Zwei Wochen später brachte ein Krankentransport sie ins Paul-Gerhardt-Diakonie-Hospiz. In der Nacht des darauffolgenden Tages starb sie.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false