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Berlin: „Kein Grund zur Panik“

Die Zahl der Pflegebedürftigen wird steigen, dennoch wird nicht jeder von ihnen in ein Heim ziehen müssen, glaubt Experte Thomas Klie

Wie wird Pflege in 20 Jahren aussehen?

Die Zahl der Pflegebedürftigen wird weiter steigen, insbesondere von Menschen mit Demenz. Wir werden nicht mehr so selbstverständlich wie heute auf die Pflege durch Angehörige setzen können: Zunächst gibt es immer weniger Angehörige, insbesondere Kinder, die Bedürftige pflegen können. Außerdem verändert sich die Pflegebereitschaft dadurch, dass die Erwerbsbeteiligung von Frauen zunimmt. Gleichzeitig nimmt die Bereitschaft ab, sich ausschließlich der Pflege von nahen Angehörigen zu widmen. Wir werden neue Wege in der Unterstützung von Pflegebedürftigen gehen. Ein Grund zur Panik ist das nicht.

Warum nicht?

Heute nehmen etwa 30 Prozent der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen professionelle Hilfe in der häuslichen Pflege in Anspruch. Neben Krankenschwestern und Altenpflegern, die für die Professionalität der Pflege wichtig sind, werden künftig vor allem kostengünstige Haushaltshilfen und Assistenzkräfte gefragt sein. Bereits heute zeigt sich das durch die zahlreichen osteuropäischen Pflegekräfte, die zwar überwiegend illegal aber doch schnell und unkompliziert Arbeit in privaten Haushalten finden. Mixturen zwischen professioneller Unterstützung und selbst organisierter Pflege werden zunehmen. Es wird auch die Heime herausfordern: Sie können nicht unbedingt damit rechnen, in der Zukunft ausgebucht zu sein.

Wie könnte Pflege künftig aussehen?

Sehr wahrscheinlich wird es einen Mix von Hilfen geben: Angehörige, Profis, Haushaltshilfen aber auch engagierte Bürger beteiligen sich an der Unterstützung von Pflegebedürftigen. Wohngruppen und andere Formen gemeinschaftlichen Wohnens werden attraktiver. In ihnen können auch unkomplizierter als in den meisten Heimen Angehörige ihre Mitverantwortungsbereitschaft einlösen, im Alltag mithelfen und für eine lebendige Atmosphäre sorgen. Viele Menschen sind nach wie vor bereit, sich für andere einzusetzen. Nur allein Verantwortung tragen, das wollen sie nicht. Fachlich ist dies auch gar nicht wünschenswert: Sie überfordern sich, sind erschöpft und schaden ihrer eigenen Gesundheit. Pflegebedürftigkeit ist ganz wesentlich ein soziales Schicksal: Ich bin darauf angewiesen, dass Menschen Zeit haben, damit mein Alltag gelingt. Würde und Wohlbefinden hängen nicht nur davon ab, dass ich satt und sauber gepflegt bin. Ein allein stehender, pflegebedürftiger Rentner in einer Großstadt, der über keine Unterstützung aus der Familie verfügt, erhält nur durchschnittlich neun Stunden Betreuung in der Woche. Das ist zu wenig. Wir brauchen also neue soziale Netzwerke, neue Formen der Unterstützung und des aufeinander bezogenen Wohnens.

Was ist nötig, damit Normalverdiener nicht alternativlos in ein Heim ziehen?

Was müssen dringend das Zusammenspiel der Gesundheitsberufe, der Haushaltshilfen und der Familien verbessern. Die Hilfen sollten abgestimmt sein, gut mit Professionellen zusammenarbeiten, um jeden Pflegebedürftigen die fachliche Unterstützung angedeihen zu lassen, die er braucht. Gleichzeitig sollte die Autonomie der Pflegebedürftigen dadurch erhöht werden, dass sie selbst entscheiden können, wie sie sich die Unterstützung organisieren. Budgets zur individuellen Verwendung werden sich hier bewähren, wenn eine entsprechende fachliche Unterstützung sichergestellt ist.

Lohnt sich eine private Zusatzversicherung?

Die Angebote in Deutschland für private Pflegeversicherungen sind noch nicht sehr weit entwickelt und für die meisten Menschen uninteressant. In anderen Ländern, etwa in den USA, ist man bereits weiter: Hier wird sukzessiv Grundeigentum für die Finanzierung von Pflege aufgebraucht. Allerdings hat für beides nicht jeder das nötige Vermögen.

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