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Berlin: Kein Ort für Müßiggänger

Wie finden Sie den fertigen Pariser Platz, Rüdiger Patzschke? Ein Spaziergang mit dem Architekten, der das Hotel Adlon gebaut hat

Die einen schwärmen von der guten Stube der Stadt. Andere finden den Pariser Platz schön, aber kalt und steril. Wieder andere sind angesichts des architektonischen Mischmaschs der Fassaden in ihren Gefühlen hin- und hergerissen. Und Autofahrer wollen nicht verstehen, weshalb ihnen der Weg durchs Nadelöhr zur Mitte der Stadt verwehrt wird. Was meint der Fachmann?

Unser Pariser-Platz-Betrachter ist ein Architekt, der zu den Traditionalisten gerechnet wird, manche Kritik und einigen Neid auf sich gezogen hat. Von ihm stammt das größte Haus am Platze, das Hotel Adlon. Rüdiger Patzschke kommt zu unserem Treff am Brandenburger Tor in doppelter Ausführung. Er hat seinen Zwillingsbruder Jürgen mitgebracht, man kann die beiden kaum unterscheiden. Sie sind zusammen 126 Jahre alt, haben gemeinsam studiert, mit 28 Jahren ein Büro gegründet und sitzen seit 35 Jahren in einem Zimmer. Sie wohnen in einem Haus, haben ein Konto und stimmen darin überein, wie man die Dinge anfasst. Nur: „Manches sehen wir anders. Jürgen ist moderner“, sagt Adlon-Rüdiger und zeigt die neuesten Projekte von Patzschke & Partner: Kongresshalle, Fünf-Sterne-Hotel, Verwaltungs-, Einkaufs- und Vergnügungszentrum mit 22 Kinos im indischen Pune, ein Zwei-Milliarden-Objekt.

Von den Linden her fegt kalt der Wind; Jürgen gibt Bruder Rüdiger den Vortritt, „der hat schließlich hier sein Adlon gebaut.“ Wir stehen in der Mitte des Platzes, der trotz seines neuen Granit-Parkettfußbodens unfertig wirkt. Auf der Französischen Botschaft fehlt die Trikolore. Die gläserne Akademie der Künste ist ein Torso, Amerikas Botschaft eine Brache zwischen Frank Gehrys genialer DG-Bank und dem traditionellen Bank- „Haus Sommer“.

Ein grundsätzlicher Einwand

Der Lärm bleibt außen vor, seit der Autoverkehr hier gestoppt wurde. Touristen stellen sich in Positur, am Adlon warten Leute, die nicht wissen, worauf sie an den rot-weißen Gittern hoffen. Irgendein wichtiger Politiker wird es schon sein, wie die weiße Motorradstaffel zwischen der schwarzen Blechwelle vermuten lässt. Aber wer? Egal, Hauptsache anders als der Alltag in Neuburg an der Donau.

So, Herr Patzschke – wie ist denn nun der Pariser Platz geworden? „So, wie ihn unsere Zeit verdient“, sagt der Architekt diplomatisch, „und so heterogen wie unsere Gesellschaft.“ Schlicht schön: das Brandenburger Tor mit den Torhäusern und die neue Lichtinszenierung nach der Restaurierung. Die Häuser Sommer und Liebermann links und rechts vom Tor von Architekt Kleihues findet Patzschke „weitestgehend gelungen“, edel die Grünanlagen von Klaus von Krosigk, die dem Bild vor der Zerstörung entsprechen.

Hier kommt ein grundsätzlicher Einwand. Wünschenswert wäre „die Rekonstruktion der verlorenen Gebäude, auch der amerikanischen und französischen Botschaften wie der Kunstakademie gewesen, um dem Empfangssalon etwas von seiner Schönheit und Würde wiederzugeben und so optische Erinnerungen zu ermöglichen.“ Was Unter den Linden möglich war (Oper, Palais’) oder wird (Komandantur, Bauakademie, Schloss), hätte auch für den Empfangssalon gelten können. Frankreich habe sich über zwei Jahre bemüht, sein Botschaftspalais im Original wiedererrichten zu dürfen. Dies hätten die Planungsbehörden mit ihrem Wunsch nach „zeitgemäßer Architektur“ auf dem Platz leider verhindert. Rüdiger Patzschke bescheinigt aber dem architektonischen Laien eine spürbare Sehnsucht nach mehr Reichtum und Schönheit in der Form, eine Architektur, die sich ihm ohne Erläuterung erschließt. Die Französische Botschaft sei zwar gelungen, führe jedoch durch die wenigen Etagen zu einer Disproportionierung der Nachbargebäude. Der riegelartige Sockel gaukelt Naturstein vor, ist aber beim genaueren Hinsehen Beton. Gehrys DG-Bank sei hervorragend, im Innern mit höchster Genialität entworfen. Patzschke sieht dennoch einen Nachteil vieler moderner Bauten: „Bei Annäherung an das Gebäude sind keine anderen Details zu erkennen als aus großer Entfernung, da die glatte Oberfläche keine weitergehenden Details sichtbar werden lässt“.

Nichts zum Verweilen

Der Architekt bestreitet dem Platz die so gern gepriesene „Verweilqualität“. Die Leute kommen, fotografieren sich am Tor – und gehen wieder. Im Sommer keine Bänke. Keine Einladung zur Kaffeepause. „Ein Platz der Würde ist es bislang nicht geworden, durch Restriktionen leider auch kein Platz für blinzelnde Müßiggänger auf Restaurantterrassen – unvorstellbar die Ignoranz, gegenüber dem Brandenburger Tor keine Restaurants und Cafés mit Tischen und Stühlen vor den Gebäuden zuzulassen“. Das Tiefbauamt beruft sich auf eine Gestaltungssatzung, die aber für Patzschke hier eine „Einebnung möglicher Vielfalt sowohl in der Höhenabwicklung als auch in den Sockelbereichen herbeiführt“. Durch die Vorgabe einer Sockelhöhe von etwa einem Meter ist es auch nachträglich schwer möglich, Ladengeschäfte und Cafés am Platz unterzubringen. Das wäre aber bei der jetzigen Variante mit dem geschlossenen Tor sinnvoll gewesen.

Rüdiger Patzschke sieht hier die zentrale Eingangssituation ins Zentrum. Die Ost-West-Achse sollte nicht umfahren, der Verkehr verträglich gefiltert werden. „Ich möchte nicht das Gefühl haben, eine Stadt durch den Hintereingang zu betreten“, sagt der Architekt: „Das Eingangstor war Einfahrtstor und muss es bleiben.“ Die Lösung ohne Durchfahrt hätte eine andere Grundhaltung erfordert. Da hätte das Tor frei stehen müssen, um umfahren zu werden. Dazu ist es zu spät. Dennoch – ein letztes Wort zum Tor, im Angesicht der Blechschlange, die es stockend und hupend umzingelt: „Um als Tor bezeichnet zu werden, muss das Tor auch durchfahren werden. Nur so kann der bedeutendste Zugang der Stadt symbolisch und faktisch auch als Tor zur Stadt gewertet werden“.

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