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Berlin: Kein Wort über türkische Steinewerfer

GAZETELER RÜCKBLICK Jeden Montag im Tagesspiegel: ein Rückblick auf die in Berlin erscheinenden türkischen Tageszeitungen. Im vergangenen Jahr hatten sich die großen türkischen Zeitungen über die türkischen Steinewerfer noch richtig aufgeregt: „Sie haben sich auf Türkisch Befehle zugerufen“, empörten sie sich.

GAZETELER RÜCKBLICK

Jeden Montag im Tagesspiegel: ein Rückblick auf die in Berlin erscheinenden türkischen Tageszeitungen.

Im vergangenen Jahr hatten sich die großen türkischen Zeitungen über die türkischen Steinewerfer noch richtig aufgeregt: „Sie haben sich auf Türkisch Befehle zugerufen“, empörten sie sich. Nach den diesjährigen Krawallen am 1. Mai scheinen einige von ihnen resigniert zu haben. „Das altbekannte Bild“, hieß es am Sonnabend in der Tageszeitung Milliyet. In der kurzen Bilanz der Ereignisse stand kein einziges Wort über die türkischen Steinewerfer. Die Hürriyet berichtete in ihrer bebilderten Nachricht, dass auch ausländische Jugendliche mitgemacht haben. Die Überschrift: „Ereignisreicher 1. Mai.“ Nur die Tageszeitung Türkiye brachte einen längeren Bericht und zitierte Berlins Polizeipräsidenten Dieter Glietsch: „Türkische und arabische Jugendliche seien aneinander geraten und anschließend auf die Polizisten losgegangen. Über die Herkunft der Festgenommenen wollte Glietsch keine Angaben machen. Aber vermutlich sind viele türkische und arabische Jugendliche darunter“, schrieb die Zeitung. Die Überschrift: „Die Hohe Quittung des 1. Mai.“

In den Blättern gibt es seit Freitag ohnehin fast nur ein Thema: das Erdbeben in der osttürkischen Provinzhauptstadt Bingöl am Donnerstagmorgen. Nach offiziellen Angaben kamen 167 Menschen ums Leben, darunter 84 Schulkinder. Die meisten von ihnen lagen unter den Trümmern eines mehrstöckigen Schulwohnheims, das Grundschüler aus armen Familien der umliegenden Dörfer beherbergte. Entsprechend heftig waren die Reaktionen am nächsten Tag. „Sie haben die Kinder auf dem Gewissen“ (Milliyet) und „Die Trümmer sind voll mit Kindern“ (Türkiye), hieß es. Die Hürriyet zeigte auf ihrer Titelseite zwei Aufnahmen nebeneinander. Auf der einen war ein Helfer zu sehen, der ein kleines Opfer des Bombenanschlages 1995 in Oklahoma auf den Armen trägt. Auf der anderen trug ein Helfer ein Kind aus Bingöl davon. „Gibt es einen Unterschied?“, fragte die Hürriyet. „In dem einen Fall hat einer ein Regierungsgebäude in die Luft gejagt und 168 Menschen getötet. In dem anderen Fall hat ein anderer (der Bauunternehmer) Pfusch am Bau betrieben“, antwortet das Blatt. Beides ergebe dasselbe Bild.

Auch nach den Ausschreitungen während einer Kundgebung hielten die meisten Zeitungen zu den Bewohnern. Die Zeitungen kritisierten die Stadtverwaltung und die Polizei. Nur die Tageszeitung Türkiye sah eine Provokation der verbotenen PKK, die die Menschen aufgewiegelt habe. Denn in der Gegend leben überwiegend Kurden. Das wiederum erklärt die Berichterstattung der kurdischen Zeitung Özgür Politika, die nur in Europa und auf Türkisch erscheint. „Katastrophe in Bingöl“, titelte das Blatt am Freitag und führte auf, wer alles Beileidsbekundungen ausgesprochen habe. Zumindest in dem Text auf der Titelseite kamen nur kurdische Organisationen aus Europa vor. Ebenso berichtete das Blatt auf seiner Titelseite nur über die kurdische Hilfsorganisation „Heyva Sor a Kurdistan“, die am Ort helfe. Dennoch riefen alle Zeitungen zu Spenden auf.

Suzan Gülfirat

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