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Berlin: Kick nach der Sucht

Von Nicole Dolif Gestern, 12.50 Uhr.

Von Nicole Dolif

Gestern, 12.50 Uhr. Anpfiff im Poststadion. Auf dem Platz stehen die Spieler von Synanon und Briese. Es ist ihr letztes Spiel vor der Sommerpause. Vor ihnen liegen zweimal 30 Minuten. Doch dies ist kein ganz normales Fußballspiel. Fast alle der 14 Spieler waren drogensüchtig. Synanon und Briese sind Therapie-Organisationen.

Beim Anstoß wird der Ball zuerst dem Gegner zugespielt, dann zurück – eine Geste der Fairness. Sie ist hier oberstes Gebot.

Am Rand des kleinen Spielfelds steht ein Mann im Trainingsanzug. Der Mann heißt Bernhard, „einfach nur Bernhard. Wir nennen uns hier alle beim Vorn", sagt er. Bernhard ist 45 Jahre alt und hat 1982 die Drogenliga mit gegründet. Heute spielen 20 Mannschaften aus allen möglichen Therapie-Organisationen in der Liga. Bernhard war selbst drogensüchtig. „Ich habe gesüchtelt“, wie er selbst sagt. Das klingt eben nicht ganz so schlimm wie „Ich war ein Junkie“. Bernhard war ganz unten, er hat versucht, sich umzubringen. Aber dann wollte er seinem Leben doch noch eine Chance geben. Seit 1980 ist Bernhard clean. „Fußball hilft mir, clean zu bleiben“, sagt er. „Für Süchtige dreht sich das Leben nur noch um die Droge. Man fällt in ein Loch, hat keine Freunde und keinen Lebensinhalt mehr. Ich konnte dieses Loch durch Fußball stopfen.“ Schützt Fußball vor dem Rückfall in die Sucht? Bernhard zuckt mit den Schultern. „Weiß nicht.“

7. Spielminute. Briese macht das erste Tor. Dann hat Synanon den Ball, stürmt aufs gegnerische Tor zu. Die Riesenchance, den Ausgleich zu machen. Verpatzt. An Mario kommt eben keiner so leicht vorbei. Mario steht für Briese im Tor. Endlich wieder. Vier Wochen lang war er gesperrt. „Ich hatte einen Alkoholrückfall“, sagt er. Ein Bier hat Mario getrunken. Bei sich zu Hause. Niemand hätte es je erfahren. Wenn Mario es seiner Mannschaft nicht selbst erzählt hätte. „Es ist sehr wichtig, über seine Schwächen zu reden, Offenheit spielt bei uns eine wichtige Rolle. Aber sie waren alle sehr enttäuscht von mir.“

Mario ist 39 Jahre alt. Und er war fast sein ganzes Leben drogenabhängig. Mit 13 geriet er in die falsche Clique. Erst brachte einer Alkohol mit, dann Drogen. „Ich hatte schon mehrere Überdosen hinter mir“, sagt er. „Und ich wusste, wenn ich jetzt nicht aufhöre, dann finden sie mich irgendwann im Bahnhofsklo.“ Vier Jahre ist sein Entzug jetzt her. Mario hat einen Job, eine glückliche Beziehung und seine Fußballspiele am Wochenende. „Gerade für Süchtige ist es wichtig, dass die Tage Struktur haben. Wer herumsitzt und sich langweilt, kommt nur auf dumme Gedanken", sagt er.

15. Spielminute. Am Rand stehen zwei Briese-Einwechselspieler. Sie können kaum glauben, dass ihre Mannschaft führt. „Synanon ist Meister. Letztes Mal haben sie uns acht zu null geschlagen“, sagt einer der beiden. Er heißt Robert. Der 26-Jährige ist nicht drogensüchtig, sondern Student. Aber er darf bei Briese mitkicken. „Jeder ist willkommen", sagt Bernhard, „egal ob alt oder jung, männlich oder weiblich. Aber er muss sich an die Regeln halten.“ Kein Alkohol, keine Drogen, keine Gewalt.

Halbzeit. Mario ermahnt seine Mitspieler, fair zu spielen. „Egal wie die anderen spielen“, sagt er. Alle nicken, trinken Wasser.

40. Minute. Briese geht 2:0 in Führung. Der Spieler mit der Nummer vier auf dem schwarz-gelben Trikot hat das Tor gemacht. Souverän, im Alleingang.

Abpfiff. Briese gewinnt verdient – und wird wohl doch absteigen. Aber das macht den Spielern nichts. „Wir wollen zusammen spielen, siegen steht nicht an erster Stelle“, sagt Mario. Dann lächelt er: „Aber Spaß macht gewinnen natürlich trotzdem.“

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