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Berlin: Kind der Klamotte

Charlie Chaplins Filme liebt sie seit ihrer Kindheit. Heute Abend schlüpft Schauspielerin Meret Becker auf der Museumsinsel in die Rolle des großen Mimen

Erinnern Sie sich noch an die ersten ChaplinFilme, die Sie gesehen haben?

Ja, als Kind habe ich wahnsinnig viel von diesen Schwarzweißfilmen geguckt, die ganzen Komiker wie Charlie Chaplin, Stan und Ollie… Ich habe immer „Klamottenkiste“ und „Väter der Klamotte“ gesehen.

Die Klamauk-Show mit den Texten von Hanns Dieter Hüsch?

Ja, wo am Schluss dann dieser Typ mit den Spaghetti aus dem Ofen rausgerollt kommt und sagt: „Schöööhhhn“. Als Kind habe ich regelmäßig mit Ben, meinem Bruder, vor der Kiste gesessen, wenn das kam. Da haben wir uns immer wie die Weltmeister drauf gefreut. Heute sagen alle Kinder bei Schwarzweißfilmen: Gäähn. Aber für uns war das klasse. Gab auch nicht viel anderes.

Klingt da Nostalgie durch?

Ja, das sind schöne Kindheitserinnerungen, die ich mit diesen Filmen verbinde. Die waren prägend für vieles, was ich erst später bewusst gemerkt habe. Die ganzen filmischen Mittel, die man als Erwachsener einsetzt, sind davon inspiriert, was wir damals gesehen haben.

Zum Beispiel?

Die Abblende, bei der sich alles auf einen kleinen Punkt verengt. Bis heute finde ich: Nichts ist romantischer als die Abblende. Und die kenne ich eben hauptsächlich durch Chaplin-Filme.

Hat Chaplin Sie als Schauspielerin geprägt?

Im Grunde prägt einen ja alles, was man sieht. Und da Chaplin einer der Besten ist, die es gibt, habe ich das natürlich ganz genau beobachtet, was der macht und warum er bestimmte Sachen macht. Das gilt auch für Buster Keaton. Die haben ja eigentlich gar keine Klamotte im klassischen Sinne gemacht, sondern tragische Geschichten erzählt. Das hat mich immer mehr angesprochen als Dick und Doof oder andere, die sich immer auf den Kopf gehauen haben, von Autos überrollt wurden… Das war großartig, aber eben Klamauk.

Ihnen lag das Tragische mehr als das Witzige?

Ja. Außerdem war Chaplin ja immer hoffnungslos romantisch, der hat einfach wunderbare Liebesgeschichten erzählt.

Wie haben diese Stummfilme Sie inspiriert?

Es gibt immer wieder Szenen, in denen man wahnsinnig viel über Gestik und Mimik erzählen kann. Ich freue mich immer, wenn ich mich mal traue, so große Gesten zu benutzen wie in den alten Filmen. Das kann etwas ganz Merkwürdiges, Neues schaffen. Aber man muss vorsichtig damit umgehen, sonst wird’s albern.

Wieso hat Chaplin bis heute so einen Zauber?

Der ist einfach so hoffnungslos gut und liebenswürdig, völlig positiv, sieht das Schöne in den Menschen, die kleinen Dinge werden herausgehoben… So möchte wohl jeder die Welt sehen, aber meistens ist sie nicht so. Und Chaplin zeigt uns, das es doch geht, die Welt mit anderen Augen zu sehen.

Meret Beckers Tochter Lulu kommt zu ihr: „Mama, kannst Du mir beim Kochen helfen?“ – „Was wollt ihr denn kochen?“ – „Nudeln und Tomaten.“ – „Habe ich nicht mehr. Ich kann dir aber Zucchini geben.“ – „Auja!“ – die Tochter zieht glücklich mit einer Zucchini ab.

Ist Ihre Tochter für Sie eigentlich auch eine künstlerische Inspiration?

Ja, auf jeden Fall. Es ist irre, wie anders Kinder bestimmte Dinge sehen. Das ist übrigens auch so, wenn man mit den Leuten von RambaZamba arbeitet. Man merkt plötzlich, wo Clowns und auch Leute wie Charlie Chaplin das alles herhaben. Bei Kindern kann man sich sehr viel abgucken.

Zum Beispiel?

Ich war mal mit meiner Tochter in Rom, als sie ein bisschen älter als ein Jahr war. Da hat sie einen Luftballon geschenkt bekommen. Sie knautschte ihn, bis er platzte. Sie hat aber nicht geheult, sondern erst nur stumpf geguckt, dann schaute sie zwischen ihren Beinen durch, hinter sich, vor sich und suchte den Luftballon. Da kann man viel lernen: Die Dinge nie für selbstverständlich zu nehmen, sondern immer alles neu anzugucken. Das ist sauschwer, wenn man erwachsen ist.

Stichwort RambaZamba. Das Ensemble, mit dem Sie Ihren Chaplin-Abend einstudiert haben, besteht aus 30 körperlich und geistigen Behinderten. Wie lief die Zusammenarbeit?

Gut. Wenn ich das Ensemble auf der Bühne und bei den Proben beobachte, dann erblasse ich manchmal vor Neid.

Wieso das?

Die sind so direkt und geradeheraus, es ist alles existenziell bei ihnen. Das ist das Höchste im Schauspiel – und die machen das mal so eben nebenbei. Man lernt, alles neu zu sehen, man fühlt sich vorgeführt. Die machen jede Geste mit Bedacht und so gründlich, so aufwändig und groß – dafür muss man als Schauspieler oder als Clown lange üben. Die beobachten das Leben, in dem sie versuchen müssen klarzukommen, und führen uns vor, wie sie die so genannten Nichtbehinderten wahrnehmen. Ich fühlte mich manchmal wie ein Idiot, weil die Darsteller viel besser sind als ich.

War das alles nicht sehr chaotisch?

Nein, die arbeiten schon sehr genau, haben aber ein ganz anderes Timing. Ich bin es sonst gewohnt, immer auf Pointe zu arbeiten. Hier gibt’s das nicht. Das ist alles eine einzige Pointe. Das ist manchmal nicht leicht, sich spontan drauf einzustellen. Man muss sich ganz schön gehen lassen.

Ich dachte, für Sie als Kind einer Varieté- und Schauspielerfamilie wäre Improvisation ein Leichtes.

Leider nur begrenzt. Für Improvisation bin ich zu schüchtern. Ich stehe dann immer unglaublich unter Stress. Was mich am an diesem Stück übrigens am meisten freut: Ich darf als Charlie Chaplin im Orchester die Trompete spielen. Das darf ich sonst nie.

Wieso das nicht?

Ich liebe Trompete – aber ich kann sie nicht spielen. Das hält normalerweise keiner aus. Aber hier passt es gut ins Konzept.

Das Gespräch führte Lars von Törne

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