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Der Kindernotdienst in Kreuzberg hat zehn Plätze.

© Kitty Kleist-Heinrich

Kinder in Not: Mehr Hilferufe bei Beratungsstellen

Eltern sind immer öfter mit der Erziehung überfordert. Der Notdienst nimmt fast täglich Mädchen und Jungen auf - auch in der Silvesternacht.

Von Sabine Beikler

Es vergeht kaum ein Tag mehr, an dem der Kindernotdienst kein Kind aufnimmt. Noch in der Nacht zu Silvester brachten Polizisten ein neun Monate kleines Mädchen in den Notdienst. Die Eltern waren mit der Betreuung überfordert. Und einige Tage zuvor wurden gleich drei Kinder in die Unterkunft gebracht. Ein sieben Jahre altes Mädchen und ihr fünfjähriger Bruder standen leicht bekleidet und bibbernd vor Kälte vor ihrem Wohnhaus. Die Eltern hatten die Kinder ausgesperrt und nicht auf Rufe der Nachbarn reagiert. Beamte fanden dann in der Wohnung noch ein zweijähriges Kind.

Bis Anfang Dezember registrierte der Kindernotdienst im Vorjahr allein 825 Fälle von Inobhutnahme. „Es gibt einen zunehmenden Trend, dass Kinder aus ihren Familien geholt werden müssen“, sagt Beate Köhn vom Kindernotdienst.

Immer öfter sind Eltern mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert. „Es geht vielen Familien schlecht, sie haben keine positiven Perspektiven“, sagt Köhn. Hinzu kommen bei Erziehungsberechtigten psychische Krisensituationen, durch die sie nicht mehr in der Lage sind, sich um ihre Kinder adäquat zu kümmern. 2009 registrierte der Kindernotdienst 227 Vernachlässigungen. Bis Ende November 2010 waren es dagegen schon 266 Fälle. Eine steigende Tendenz verzeichnen die 32 pädagogischen Mitarbeiter des Kindernotdienstes auch bei körperlichen Misshandlungen: 107 Fälle wurden 2009 aufgenommen, bis Ende November 2010 waren es 167.

Experten weisen darauf hin, dass die Zunahme der bekannten Fälle nicht automatisch bedeutet, dass mehr Kinder misshandelt werden. Das Anzeigeverhalten aber hat sich verändert, die Grauzone wird etwas kleiner. Die Polizei nennt in ihrer Kriminalstatistik 532 Fälle von Kindesmisshandlung im Jahr 2009. Bezogen auf die Entwicklung der Vorjahre lässt sich daraus noch kein Trend ableiten.

In den vergangenen Jahren ist die Bevölkerung wachsamer geworden, wenn es um die Gefährdung des Kindeswohls geht. Früher habe bei vielen die Angst im Vordergrund gestanden, jemanden fälschlicherweise zu denunzieren, sagt Köhn. Heute begriffen die Menschen immer mehr, dass sie Mitverantwortung haben, heißt es bei der Polizei und den Kinder- und Jugendnotdiensten.

Der Kindernotdienst in der Gitschiner Straße in Kreuzberg hat zehn Plätze. Die betreuten Mädchen und Jungen sind bis zu 13 Jahre alt, ältere Kinder werden im Jugendnotdienst aufgenommen. „Die Aufnahme der Kinder soll möglichst kurz sein“, sagt Beate Köhn. Die Prämisse lautet: Für betroffene Kinder muss schnellstens eine mittelfristig gute Lösung in familienähnlichen Strukturen gefunden werden. Die Jugendämter bemühen sich, Krisenpflegeeltern zu finden, die den besonderen Bedürfnissen von Babys und Kleinkindern gerecht werden. Ältere Kinder kommen auch in betreuten Schutzwohnungen unter.

Der Kindernotdienst verzeichnete bis Ende November 1594 Beratungen (2009: 1636 Beratungen). Und seit Mai 2007 gibt es in Berlin die Hotline Kinderschutz: Dort kann sich jeder telefonisch melden, der Anhaltspunkte hat für mögliche Vernachlässigungen oder Misshandlungen von Kindern und Jugendlichen. Diesen Informationen geht täglich von acht bis 18 Uhr das jeweilige Jugendamt nach. Nach 18 Uhr wird der Kindernotdienst eingeschaltet. Auch die Hotline verzeichnet mehr Anrufe: 2009 gab es 941 Meldungen. Bis Ende November 2010 waren es schon 1200 Anrufe. Sabine Beikler

Rund um die Uhr sind in Berlin der Kindernotdienst unter der Nummer 61 00 61 oder die Hotline Kinderschutz unter 61 00 66 zu erreichen.

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