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Berlin: Kinderschutz: Die lange Leitung zur Telefon-Hotline

Angekündigte Notrufnummer noch nicht geschaltet Checkliste soll helfen, Kinder in Not zu erkennen

Von Sandra Dassler

Es passiert immer wieder: Nachbarn beobachten, dass eine Mutter die ganze Nacht wegbleibt und ihre kleinen Kinder in dieser Zeit allein in der Wohnung einschließt. Oder dass ein betrunkener Vater nach Hause kommt, und kurz danach das jämmerliche Geschrei eines Kindes ertönt, das offenbar geschlagen wird.

Immer noch scheuen sich viele Bürger, in solchen Fällen die Polizei oder das Jugendamt einzuschalten, sagt der Sprecher der Senatsbildungsverwaltung, Kenneth Frisse. Deshalb arbeite der Senat derzeit mit Hochdruck an der Einrichtung einer speziellen Telefon-Hotline: „Dort kann man auch anrufen, wenn keine unmittelbare Gefahr droht oder man sich nicht ganz sicher ist, ob Kinder gefährdet sind.“

Dass viele Kinder in Berlin dringend auf Aufmerksamkeit und Hilfe angewiesen sind, zeigt die Polizeistatistik: 255 Fälle von Kindesvernachlässigung wurden 2004 registriert, 2005 waren es 314. Im vergangenen Jahr stiegen die Zahlen um mehr als 85 Prozent auf 582 Fälle. „Das ist ein dramatischer Anstieg“, sagt ein Polizeisprecher: „Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Zuwachs auch auf mehr Sensibilität der Bürger zurückzuführen ist. Und auch wenn die Aufklärungsrate mit 96,7 Prozent sehr hoch ist.“

Die „Hotline Kinderschutz“ ist nur ein wichtiger Bestandteil des Netzwerkes Kinderschutz, das der Senat – wie berichtet – im Februar verabschiedet hat. Damals hatte Bildungssenator Jürgen Zöllner noch von „drei bis vier Wochen“ bis zur Freischaltung gesprochen, inzwischen sind fast acht Wochen vergangen. „Wir konnten die Telefonanlage und alles, was damit zusammenhängt ja erst ausschreiben, nachdem der Senat das Netzwerk Kinderschutz beschlossen hatte“, verteidigt Frisse die Verspätung. Immerhin seien allein für die Anschaffung der Anlage 100 000 Euro vorgesehen. Warum diese so teuer ist – laut Angaben eines Telekom-Sprechers könne man für diese Summe eine Anlage kaufen, die bis zu 100 Anrufe parallel abwickelt – war nicht zu erfahren. Die Anlage soll im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg installiert werden, weil es dort bereits Erfahrungen mit dem Kinder- und Jugendnotdienst gibt.

Generell habe man mit dem Netzwerk Kinderschutz „nicht das Rad neu erfunden“, sagt der Reinickendorfer Jugendstadtrat Peter Senftleben (SPD). Neu und gut sei, dass es endlich einheitliche Regelungen für alle Bezirke gäbe. Das beträfe sowohl die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen als auch die Checklisten zur Erkennung von gefährdeten Kindern (siehe Kasten). „Solche Checklisten gab es früher auch, aber jeder Bezirk hatte andere Kriterien“, sagte Senftleben: „Außerdem sind die Listen ein Korrektiv zur Subjektivität, von der sich auch Jugendamtsmitarbeiter nicht völlig freimachen können.“ Geregelt worden sei endlich auch, wer zuständig ist, wenn eine so genannte Problemfamilie den Kiez wechselt.

Letztlich könne das Netzwerk Kinderschutz aber nur die Symptome bekämpfen, meint Senftleben. „Für die Ursachen für misshandelte oder vernachlässigte Kinder ist die ganze Gesellschaft zuständig. Ich erlebe in Reinickendorf oft, wie intakte Familien durch Arbeitslosigkeit in Windeseile zerfallen.“ In anderen Bezirken gibt es ähnliche Erfahrungen. Im Spandauer Jugendamt wurde deshalb gerade der Bereitschaftsdienst ausgeweitet. Hinweise auf Kindesgefährdungen werden jetzt Montag bis Freitag von 8 bis 18 Uhr unter der Rufnummer (0177) 330 3505 entgegengenommen.

So lange die Hotline „Kinderschutz“ nicht freigeschaltet ist, können sich Bürger auch an den zentralen Berliner Kindernotdienst unter der Nummer 610 061 oder an die spezielle Polizeinummer 4664 9125 55 wenden.

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